Mon. Sep 16th, 2024
  • Neues EU-Wirtschaftspaket für Westbalkan „More of the same“ statt Paradigmenwechsel

  • Regionale Integration der Volkswirtschaften brachte kaum Wohlstandsgewinne

  • Enge EU-Anbindung und Zugang zum EU-Budget für Aufholprozess notwendig

Am 6. Oktober findet nach 2018 und 2020 der dritte EU-Westbalkan-Gipfel statt. Die EU-Spitze wird dafür in die slowenische Hauptstadt Ljubljana reisen. Im Gepäck hat sie einen 9 Milliarden Euro schweren Wirtschafts- und Investitionsplan, der private Investitionen in Milliardenhöhe anziehen soll.

„Das ist Zweckoptimismus. Das versprochene Wirtschaftspaket wird an der deplorablen ökonomischen Situation am Westbalkan wenig ändern, sondern ‚more of the same‘ bringen“, sagt Richard Grieveson, Co-Autor einer Studie mit der Bertelsmann Stiftung zum Thema und stellvertretender Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). So sehr zusätzliche Mittel und die im Plan vorgesehene Ökologisierung und Digitalisierung der Volkswirtschaften zu begrüßen seien, so wenig habe das in der Vergangenheit funktioniert, moniert Grieveson.

„Die bisherige Strategie der EU, durch regionale ökonomische Integration den wirtschaftlichen Aufholprozess der Westbalkanstaaten zu forcieren und politische Konflikte zu lösen, war nicht erfolgreich“, meint auch Stefani Weiss, EU-Expertin der Bertelsmann Stiftung in Brüssel. Wie die Studie des wiiw und der Bertelsmann Stiftung zeigt, hinken Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien den ost- und südosteuropäischen EU-Mitgliedern ökonomisch weit hinterher. Gleichzeitig belastet das Erbe der jugoslawischen Zerfallskriege ihre Beziehungen nach wie vor schwer. „Serbien als wirtschaftliches und politisches Schwergewicht in der Region spielt dabei in jeder Hinsicht eine Schlüsselrolle“, so Grieveson.

Kaum Wandel durch Handel

Zwar hatten die in den 2000er-Jahren zwischen den Ländern des Westbalkans abgeschlossenen bilateralen Handelsabkommen einen leicht positiven Effekt; so stiegen die Exporte in die Region um rund 14%. Die spätere Teilnahme am Central European Free Trade Agreement (CEFTA), das ab 2007 die bilateralen Handelsverträge ersetzte, erhöhte ihre intraregionalen Exporte um 38%. Unter Ausblendung Serbiens, das seinen Außenhandel vorwiegend mit der EU abwickelt, waren es in beiden Fällen sogar rund 70%. Obwohl die regionale Integration zugenommen hat, hat sie sich auf die wirtschaftliche Entwicklung nicht sonderlich ausgewirkt. „Das BIP der Region ist nach wie vor sehr niedrig – insgesamt etwa so hoch wie jenes der Slowakei. Die potenziellen Gewinne aus einem verstärkten regionalen Handel haben sich also kaum materialisiert“, so Grieveson.

Das führt zu einem großen ökonomischen Gefälle. „Die Kluft zu den neuen EU-Mitgliedern in Osteuropa hat sich vergrößert, was besorgniserregend ist, schließlich sollten arme Länder schneller wachsen als reiche“, analysiert Grieveson. So liegt das BIP pro Kopf am Westbalkan bei lediglich 20% bis 40% des deutschen Niveaus und damit weit unter jenem der meisten osteuropäischen EU- Mitglieder. Daran konnten auch die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU wenig ändern. In rund 20 Jahren erhöhten sich die Exporte in die EU um nicht einmal ein Viertel. Die Direktinvestitionen aus der EU stiegen im selben Zeitraum um etwa 46% – „ein sehr bescheidener Wert, vergleicht man das mit dem sprunghaften Anstieg der Direktinvestitionen aus der EU in Polen, Tschechien, der Slowakei oder Ungarn vor ihrem EU-Beitritt. Von einem Aufholprozess kann bisher also kaum die Rede sein, auch wenn es Anzeichen von Nearshoring in Richtung Westbalkan gibt“, konstatiert Grieveson.

Infrastruktur: Chinas Tummelplatz

Auch die Erfolge im Bereich Infrastruktur waren überschaubar. Zwar konnten die Westbalkanstaaten erfolgreich an die transeuropäischen Verkehrs- und Energienetze angeschlossen werden. Trotzdem existieren nach wie große Lücken, nicht zuletzt bei schnellem Internet. Mit China trat zudem ein Akteur auf den Plan, der den Europäern zunehmend Kopfschmerzen bereitet. Immerhin belaufen sich die von der Volksrepublik angekündigten Infrastrukturinvestitionen in der Region auf rund 7 Milliarden Euro. „Sehr oft schaffen sie wirtschaftliche Abhängigkeiten – siehe Montenegro – und schwächen den Einfluss der EU. Das sollte zu denken geben“, erklärt Stefani Weiss.

EU-Anbindung der Wirtschaft und Zugang zum EU-Budget

Um die wirtschaftliche Entwicklung der Westbalkanstaaten voranzutreiben, empfiehlt die Studie daher eine möglichst umfassende ökonomische Anbindung an die EU. „Gerade weil ein Vollbeitritt für die meisten aus politischen Gründen in immer weitere Ferne rückt, muss Brüssel ihnen eine Alternative bieten“, so Weiss. Die Kohäsions- und Strukturfonds sowie andere Finanzinstrumente der EU für die Westbalkanstaaten zu öffnen, wäre eine Möglichkeit. Angesichts ihrer geringen Wirtschaftsleistung von zusammen nicht einmal 1% des Bruttoinlandsprodukts der EU fiele das für die Nettozahler kaum ins Gewicht. Auch die Integration in die EU-Zollunion und eine Ausweitung der bestehenden Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen erscheint den Studienautoren sinnvoll.

Serbien als Schlüssel

„Wenn die EU den Westbalkan aber tatsächlich stärker integrieren möchte, muss sie viel stärker darüber nachdenken, wie sie das Kalkül Serbiens, des Hauptakteurs in der Region, ändern kann. Die Unterstützung für einen EU-Beitritt ist dort wesentlich geringer als in den anderen Ländern“, so Weiss und ergänzt: „Letztendlich muss die EU eine sehr einfache geopolitische Entscheidung treffen: Will sie den westlichen Balkan wirklich integrieren oder ihn weiter als umstrittene Zone vor ihrer Haustüre haben, in der auch Russland und China ihren Einfluss geltend machen?“

Die Studie Pushing on a string? An evaluation of regional economic cooperation in the Western Balkans“ wurde vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und der Bertelsmann Stiftung erarbeitet.

Über das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)

Das wiiw ist ein wirtschaftswissenschaftlicher Think Tank, der seit fast 50 Jahren volkswirtschaftliche Analysen und Prognosen zu derzeit 23 Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas erstellt. Zudem betreibt das wiiw Forschung zu Makroökonomie, Handelsfragen, Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen, zum europäischen Integrationsprozess, zu Regionalentwicklung, Arbeitsmärkten, Migration und Einkommensverteilung.

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