Berlin,
Rede von Außenministerin Baerbock in der Aktuellen Stunde des Bundestages zur Weltklimakonferenz COP29 in Aserbaidschan
Die Zeit läuft.
Damit meine ich nicht die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl, sondern unsere Zeit auf dieser Welt.
Das ist, liebe Kollegen von der AfD, weil Sie hier ständig faktenfrei argumentieren, eben keine gefühlte Wahrheit oder ein TikTok-Video, sondern das sind die Fakten in der Welt, in der wir heute leben.
2023 war das Jahr mit den zweitwärmsten jemals gemessenen Temperaturen in Europa, mit den größten jemals beobachteten Waldbränden, mit den meisten Hitzestresstagen, mit Schäden durch extreme Klimaereignisse wie Überschwemmungen und Stürme, die allein in Europa, wo wir leben, über 13 Milliarden Euro betrugen.
Die Zeit läuft, um die Klimakrise und ihre Folgen irgendwie noch in den Griff zu bekommen, damit unser Zusammenleben auf diesem Planeten bestmöglich weiter in Wohlstand, in Sicherheit und vor allen Dingen in Frieden gestaltet werden kann.
Das Entscheidende ist jetzt wie bei all den Krisen weltweit, die wir parallel dazu erleben, nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Deswegen freue ich mich gerade in diesen schwierigen Zeiten auf diese Klimakonferenz. Denn die Klimakrise und die internationale Zusammenarbeit zeigen gerade hier: Wenn wir immer wieder die Kraft finden, trotz aller Unterschiede weltweit – und die sind viel größer als die Unterschiede in diesem Raum, jedenfalls bei den demokratischen Parteien hier -, dann können wir Unglaubliches erreichen. Der Klimaschutz weltweit ist auch ein Zeichen dafür, was wir gemeinsam schaffen können, wenn wir es wollen.
Einige Kolleginnen und Kollegen – das ist ein Zeichen der Stärke aus diesem Parlament – haben, und zwar in unterschiedlichen Rollen, ob in der Regierung oder in der Opposition, zusammen in Paris die Klimakonferenz erlebt. Da hat sich der Begriff „erneuerbare Energien“ ein einziges Mal im Text wiedergefunden – das war auch hier eine gemeinsame Kraftanstrengung mit den unterschiedlichen Kollegen von Grünen, SPD und Union -, ein einziges Mal.
Die Konferenz 2015 in Paris ist gar nicht so lange her, vor allen Dingen, wenn man auf die aktuelle Lage schaut. Jahre später, vor einem Jahr, haben wir auf einer Klimakonferenz in einem Golfstaat beschlossen, dass das Ende der fossilen Zeit eingeleitet wird, dass Erneuerbare die Zukunftsinvestition sind, und zwar weltweit auf diesem Planeten. Das ist machbar und schaffbar, wenn man beim Klimaschutz, bei der Sicherheitspolitik und bei einer klugen Wirtschaftspolitik zusammenarbeitet, und zwar international.
Es macht eben einen Unterschied. Daher werben wir so darum, jetzt nicht den Kopf in den Sand zu stecken, auch wenn die Krisen seit 2015 leider noch größer geworden sind. Jedes Zehntelgrad zählt. Das kann man als Ansporn sehen oder als Herausforderung. Ich denke in diesen Krisenzeiten immer: „Das Glas ist halb voll“. Denn wenn wir nicht daran glauben, dass wir es schaffen, dann werden wir es auch nicht schaffen. Jedes Zehntelgrad macht eben einen Unterschied.
Hier sind die Fakten, an Sie, an die AfD gerichtet, die Sie ja immer wieder einfordern: Wenn die Arktis wie in einem 1,5-Grad-Szenario in Zukunft alle 100 Jahre eisfrei sein wird, dann ist das dramatisch genug. In einer 2-Grad-Welt aber wäre das alle zehn Jahre der Fall. Das wäre der Untergang für die Inselstaaten. Genau deswegen helfen wir den Inselstaaten an dieser Stelle.
Oder denken wir an die globalen Fischereierträge. Die sinken in einer 1,5-Grad-Welt um 1,5 Millionen Tonnen, in einer 2-Grad-Welt um 3 Millionen Tonnen. Was löst das aus in den Ländern, wo Fischerei stark ist? Im Zweifel Krisen und Konflikte. Es ist also nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, des Artenschutzes, sondern es ist auch eine hochbrisante sicherheitspolitische Herausforderung, der wir uns hier gemeinsam stellen.
Mit Blick auf die Frage „Migration und Sicherheit“ – auch das ist ein zentrales Thema für Europa und für Deutschland, weswegen wir uns international beim Klimaschutz engagieren – sehen wir: In einer 2-Grad-Welt hätten wir gegenüber heute 189 Millionen Menschen mehr, die von Ernährungsunsicherheit betroffen wären.
In einer 4-Grad-Welt – auf diesem Pfad sind wir ja auch noch; 3,6 Grad Erwärmung gibt es im Worst-Case-Szenario – wären das zehnmal so viel. Das hieße: 1,8 Milliarden Menschen mehr wären von Ernährungsunsicherheit betroffen. Das würde weitere Krisen und vor allen Dingen Migrationsbewegungen auslösen. Auch deswegen ist die Frage, wie wir uns beim Klimaschutz engagieren, eine hochzentrale sicherheitspolitische Frage, auch für uns in Europa.
Die Tatsache, dass Sie von der AfD bei all diesen Fakten nur dazwischenblöken können, zeigt: Es geht Ihnen nicht um die Sache, sondern es geht Ihnen nur darum, Debatten kaputtzumachen.
Bei diesem Punkt stehen wir gerade: Natürlich wäre es einfacher, wir würden international weiterhin mit vereinten Kräften uns genau dieser größten Sicherheitsbedrohung unserer Zeit stellen. Aber auch hier gilt: Wir können uns die Welt nun mal nicht so wünschen, wie wir sie gerne hätten.
Wir müssen immer mit den Realitäten umgehen. Deswegen haben wir in den letzten Jahren als Regierung unterschiedliche internationale Bündnisse zur Klimaaußenpolitik geschlossen. Bündnisse, die über Kontinente hinweg reichen. Mit den Ländern, die am meisten unter der Klimakrise leiden, mit anderen Industriestaaten, gerade auch mit Ländern auf anderen Kontinenten und vor allen Dingen mit denjenigen, die wirklich etwas schaffen wollen.
Auch das ist das Gute in den letzten Jahren. Ähnlich wie bei der Frage „Wer steht zur Charta der Vereinten Nationen?“ ist es auch in der Klimapolitik. Rund 140 Staaten bis 160 Staaten finden sich in dieser Zeit immer wieder zusammen und sagen: Wir wollen weiter genau daran arbeiten, weil es eine hochwichtige geopolitische Frage ist.
Daher teile ich auch überhaupt nicht die Auffassung, dass, falls die neue US-Administration – aber das wissen wir noch gar nicht – sich international nach dem Motto „America first!“ zurückziehen sollte, unsere Antwort sein sollte: Jetzt machen wir auch weniger. Ganz im Gegenteil. Dann heißt es: Europe United! Dann heißt das: noch mehr Klimaschutz bei uns in Europa, und zwar – das ist, glaube ich, dann vielleicht der Unterschied zu manch anderen Kollegen hier im Raum – nicht aus ideologischen Gründen, weil wir aus Prinzip mehr Klimaschutz brauchen, sondern zur Sicherheit unseres Wirtschaftsstandortes.
Ich meine, wenn man das mal aus unserem Interesse heraus betrachtet, so waren wir immer auch Wettbewerber mit den Vereinigten Staaten von Amerika, gerade im Bereich sauberer Technologien. Wenn die sich jetzt zurückziehen sollten – das sage ich bewusst im Konjunktiv -, dann ist ein anderes Land – nämlich China – bereit, diese Lücke zu füllen mit Investitionen nicht nur bei sich, sondern mit Investitionen in Afrika und Lateinamerika. Deswegen liegt es doch in unserem wirtschaftspolitischen Interesse, dass wir genau in diesem Moment sagen:
Jetzt noch mehr Green New Deal in Europa, jetzt noch mehr Klimainvestitionen zum Schutz unserer europäischen Wirtschaft, um Anreize zu schaffen für Investitionen in unseren Standort, in Deutschland.
Natürlich ist das auch die Debatte, die gerade in Amerika geführt wird. Ich war vor einiger Zeit in Texas. Das ist ein republikanisch regierter Bundesstaat, wie wir alle wissen. Dort wird der Strom mittlerweile auch zu 30 Prozent aus erneuerbaren Energien erzeugt. Da sind viele deutsche Unternehmen, zum Beispiel im Bereich Ammoniak. Daran hängen viele, viele Arbeitsplätze. Was sagen die dort? Sie sagen nicht: Die deutschen Unternehmen sollen sich zurückziehen. – Ganz im Gegenteil. Denn natürlich will man dort keine Stranded Investments haben.
Das heißt: Selbst in der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten, auch wenn wir das jetzt vielleicht ein bisschen anders aufstellen müssen, gilt mein Anspruch, dass wir hier erst recht wirtschaftspolitisch weiter zusammenarbeiten sollten als Demokratien auf dieser Welt, auch wenn es ein bisschen schwieriger werden sollte.
Ansonsten füllen die Lücken andere, und zwar autoritärere Regime, Diktaturen. Deswegen ist das Thema Klimaschutz mittlerweile eine hochbrisante geopolitische Frage, und der stellen wir uns auf der Höhe unserer Zeit.
Quelle – Auswärtiges Amt