Berlin, 18. März 2025
“Wir sind uns einig: Die Ukraine kann sich auf uns verlassen”, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Gespräch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ging es außerdem um die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit sowie der Wettbewerbsfähigkeit Europas.
„Die Koordinierung innerhalb Europas ist so eng wie schon lange nicht“, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz. Die Unterstützung der Ukraine stand im Fokus des Gesprächs des Kanzlers mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. „Wir sind uns völlig einig: Das Ziel aller Bemühungen muss ein gerechter und dauerhafter Frieden für die Ukraine sein”, so Scholz. Die angekündigte Waffenruhe in Bezug auf Angriffe auf die Energieinfrastruktur könne ein erster wichtiger Schritt auf diesem Weg sein.
Der Bundeskanzler hatte den französischen Präsidenten am Dienstag im Vorfeld des Europäischen Rates im Bundeskanzleramt empfangen. Am Donnerstag steht das fünfte Spitzentreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs innerhalb weniger Wochen in Brüssel an.
Das Wichtigste des Statements in Kürze
- Lage in der Ukraine: Das Ziel aller Bemühungen müsse ein „gerechter und dauerhafter Frieden“ sein, sagte Kanzler Scholz. Die Ukraine könne sich dabei auf die Unterstützung Europas verlassen. Auch die Unterstützung der USA bleibe unerlässlich. Die im Telefonat von Präsident Trump und Präsident Putin angekündigte Waffenruhe könne nur „ein erster wichtiger Schritt“ sein, so Bundeskanzler Scholz. Der nächste Schritt müsse ein vollständiger Waffenstillstand sein und das möglichst schnell.
- Verteidigungsfähigkeit Europas: Die Europäer wollten den europäischen Pfeiler der NATO stärken und die Verteidigungsausgaben weiter erhöhen, so der Kanzler. Beim bevorstehenden Europäischen Rat werde man über die Vorschläge der EU-Kommission für eine leistungsfähige europäische Verteidigung sprechen. Wichtig sei, auch Partner außerhalb der EU eng einzubeziehen, betonte Scholz.
- Europas Wettbewerbsfähigkeit: „Europa braucht ein Update, eine grundlegende Modernisierung“, machte Scholz deutlich. Es gelte Bürokratie abzubauen, mehr privates Kapital zu mobilisieren und die EU als Industriestandort zu stärken.
- Naher Osten: Besorgt zeigte sich Scholz über die aufflammenden Kämpfe im Gazastreifen. „Lassen Sie die Geiseln endlich frei“, appellierte er an die Hamas. Gleichzeitig betonte er die Bedeutung von Gesprächen über die politische Zukunft des Gazastreifens.
Mitschrift der Statements
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)
Bundeskanzler Olaf Scholz:
Sehr geehrter Herr Präsident, chèr Emmanuel, bienvenue à Berlin, herzlich willkommen im Bundeskanzleramt!
Europa steht vor großen, vor sehr großen Herausforderungen. Wer wüsste das besser als wir beide, die wir in den vergangenen Jahren Verantwortung getragen haben.
Der Deutsche Bundestag hat heute in einer, will ich schon sagen, historischen Entscheidung die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht wird. Mit gleich drei Änderungen des Grundgesetzes lösen wir die Fesseln, die uns bislang daran gehindert haben, ausreichend Finanzmittel für unsere Verteidigung auszugeben. Diese Beschlüsse sind wichtig, sie sind richtig, und sie sind angemessen!
Die Koordinierung innerhalb Europas ist so eng wie schon lange nicht. Am Donnerstag steht das fünfte Spitzentreffen mit Staats- und Regierungschefs Europas innerhalb weniger Wochen an. Bei diesem regulären Treffen des Europäischen Rats wird es erneut um die Frage gehen, wie wir Europäer uns gemeinsam den Herausforderungen des Krieges stellen, der mit großer Härte in der Ukraine tobt. Dabei geht es letztlich auch um die Frage, wie wir Europas Verteidigungsfähigkeit weiter stärken können.
Wir beide sind uns einig: Die Ukraine kann sich auf uns verlassen. Die Ukraine kann sich auf Europa verlassen. Wir werden sie niemals im Stich lassen. Klar ist: Die Unterstützung der USA ist und bleibt unerlässlich. Deshalb ist es so wichtig, dass auch Washington seine militärische Unterstützung der Ukraine fortsetzt. Wir haben natürlich das Telefonat zwischen US-Präsident Trump und dem russischen Staatschef Putin verfolgt. Wir hatten auch unterdessen Kontakt, zusammen, mit Präsident Selenskyj und den USA und haben uns deshalb unmittelbar vor dieser Konferenz sprechen können.
Wir sind uns völlig einig: Das Ziel aller Bemühungen muss ein gerechter und dauerhafter Frieden für die Ukraine sein. Die nun angekündigte Waffenruhe in Bezug auf Angriffe auf die Energieinfrastruktur kann ein erster wichtiger Schritt auf diesem Weg sein. Das Gleiche gilt für die Aufnahme technischer Verhandlungen für eine Waffenruhe auf See. Der nächste Schritt muss ein vollständiger Waffenstillstand für die Ukraine sein, und das möglichst schnell.
Natürlich ist klar, und auch darüber sind wir uns beide einig: Es darf keine Entscheidung ohne die Ukraine und über die Köpfe der Ukraine hinweg geben. Auch wir in Europa werden unsere Aufgaben in dem Format wahrnehmen müssen, in dem wir uns intensiv austauschen, innerhalb der E3 – Großbritannien, Frankreich und Deutschland –, aber natürlich auch im Europäischen Rat und mit all den anderen Verbündeten, die wir in Europa haben.
Der Krieg in der Ukraine hat erhebliche Auswirkungen auf Europas Sicherheit insgesamt, und deshalb wollen wir unsere Verteidigungsfähigkeit schnell und konsequent verbessern. Alle EU-Mitgliedstaaten müssen mehr für Verteidigung tun. Das wird eine der zentralen Aufgaben auf nationaler und europäischer Ebene für die nächsten Jahre und Jahrzehnte bleiben. Indem wir den europäischen Pfeiler der NATO stärken, stärken wir das transatlantische Bündnis insgesamt.
In Brüssel werden wir übermorgen im Kreise der EU-27 konkret darüber sprechen, wie Europas Verteidigungsindustrie leistungsfähiger werden kann. Für mich, für uns ist dabei ganz besonders wichtig, dass unsere Regeln in der Europäischen Union die Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern in der Europäischen Union erleichtern. Dazu erwarte ich auch Vorschläge von der Präsidentin der Europäischen Kommission von der Leyen in ihrem Verteidigungsweißbuch, das sie morgen vorlegen wird.
Die Kommissionspräsidentin wird morgen auch ihren „ReArm Europe“-Plan konkretisieren. Dabei sollten wir unsere europäischen Partner außerhalb der Europäischen Union eng einbeziehen, allen voran natürlich das Vereinigte Königreich und Norwegen.
Voraussetzung für all unser Handeln ist eine starke und widerstandsfähige innovative europäische Wirtschaft. Deshalb werden wir als weiteren Schwerpunkt in Brüssel beraten, wie wir die europäische Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Auf Verbesserungen haben wir beide, Emmanuel und ich, schon mehrfach gedrängt, zuletzt im Mai 2024 in Meseberg mit sehr, sehr konkreten Vorschlägen.
Europa braucht ein Update, eine grundlegende Modernisierung:
Erstens. Wir brauchen mehr Tempo und Pragmatismus, um die Europäische Union als Industriestandort zu stärken, insbesondere bei Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Zweitens. Wir müssen Bürokratie abbauen, um Unternehmen zu entlasten. Die Kommission hat bereits einen Vorschlag unterbreitet, um die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen drastisch zu verringern. Ich finde, diese Verhandlungen sollten bis Juni abgeschlossen werden, damit Unternehmen Planungssicherheit erhalten. Die Rechtsakte, die davon betroffen sind, sollten wir baldmöglichst aussetzen. Für Fachleute: Der Mechanismus lautet „Stop the clock!“.
Drittens müssen wir mehr privates Kapital mobilisieren. Ich werde deshalb nicht müde zu betonen, dass wir endlich mit der Kapitalmarktunion vorankommen müssen, damit wir die Finanzstärke, die es in Europa gibt, auch für Europa nutzen können.
Lassen Sie mich noch auf die aktuelle Lage im Nahen Osten eingehen. Wir sind in großer Sorge um die zivilen Opfer in Gaza, nachdem die Kämpfe dort wieder aufgenommen worden sind. Unsere besondere Sorge gilt in Deutschland – auch in Frankreich ist das so – natürlich den im Gazastreifen verbliebenen Geiseln. Die größte Gruppe unter ihnen sind deutsch-israelische Doppelstaatler. Meine klare Aufforderung an die Hamas bleibt: Lassen Sie die Geiseln endlich frei!
Wichtig ist: Es muss über die politische Zukunft des Gazastreifens insgesamt gesprochen werden. Der Plan der Arabischen Liga bietet dafür eine gute Grundlage.
Meine Damen und Herren, wir haben eine volle europäische Agenda, die keinen Aufschub duldet. In diesen Zeiten ist es gut, einen guten Freund wie dich an der Seite zu haben. Denn genau das macht ja unsere deutsch-französische Freundschaft aus, die enge und vertrauensvolle Abstimmung gerade auch dann, wenn die Zeiten ernst sind.
Schönen Dank.
Präsident Emmanuel Macron:
Herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler! Lieber Olaf, danke, dass wir an die heutigen Diskussionen jetzt diese Pressekonferenz anschließen können! Wir haben über die wichtigsten Aktualitäten gesprochen, etwa die Vorbereitung des Europäischen Rates. Wir hatten natürlich auch Besprechungen mit der Präsidentin der Europäischen Kommission und dem Ratspräsidenten.
Gerade wurde schon vieles gesagt. Ich möchte auf das eine oder andere eingehen.
Zunächst herzlichen Glückwunsch zu dem historischen Abstimmungsergebnis im Bundestag! Das ist eine gute Nachricht für Deutschland und für Europa. Auf diese Weise kann man mehr für die Verteidigung und die Investition tun. Das brauchen wir.
Was die Ukraine betrifft, so werden wir die ukrainische Armee natürlich weiterhin bei der Verteidigung gegen den russischen Angreifer unterstützen. Wir mobilisieren Finanzierungen, auf die wir uns festgelegt haben, 18 Milliarden bei der G7, die von den eingefrorenen russischen Aktiva kommen. In dieser Zeit, in der Russland in den letzten Tagen und noch in den letzten Stunden den Konflikt wieder verstärkt hat, stehen wir an der Seite der ukrainischen Bevölkerung. Sie wissen, dass unsere Position ist, dass wir – so würde ich sagen – schon vom ersten Tag an den Frieden verteidigen. Wir haben uns schon im Februar 2022, nachdem die Krim und zum Teil der Donbass annektiert worden waren, darauf geeinigt, dass das nicht ausufern sollte, dies auch im Anschluss an das, was wir 2014 erlebt haben. Wir sind immer auf der Seite des Friedens. Es geht nicht darum, hier die Werte umzukehren. Die historische Rolle Frankreichs und Deutschlands zusammen und ganz Europas ist an der Seite der Ukraine.
Die letzten Diskussionen gehen in eine gute Richtung. Wir möchten natürlich einen soliden und dauerhaften Frieden für die Ukraine. Dank der Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich und Deutschland ist es uns, denke ich, gelungen, Präsident Selenskyj zu überzeugen. Er hat sich richtig entschieden, dass er den Mut hatte, die Initiative zum Frieden mit Präsident Trump zu übernehmen und eine Feuerpause, eine Waffenruhe für 30 Tage zu übernehmen. Schon vor dieser Konferenz hat es Kontakte mit Präsident Trump gegeben. Es soll eine Waffenruhe geben, die auch überprüft und kontrolliert werden kann. Diskussionen im Hinblick auf einen soliden und anhaltenden Frieden, komplett und umfangreich, und die Garantien, die dazugehören, sollen anberaumt werden. Das sind unsere Zielsetzungen. Das Ganze geht auch nicht, ohne dass die Ukrainer ihren Platz am Verhandlungstisch haben.
Abgesehen von dem, was die Ukraine und ihre Verteidigung betrifft, ist auch das Weißbuch ein wichtiges Thema – davon sprachen Sie gerade schon – , dass das, was wir im Rat vor ein paar Tagen abgesegnet haben, umgesetzt wird, dass die Prozedere für gemeinsame Programme möglichst schnell und effizient durchgeführt werden und dass wir uns weiterhin und besser verteidigen können, unsere Abschreckungskapazitäten kollektiv verbessern und auch die Ausrüstungen und das Beschaffungswesen in Europa verbessern, dass wir auf diese Weise gemeinsame Projekte, mehr Simplizität und mehr Geschwindigkeit verwirklichen. Das geht in die Richtung der strategischen Autonomie, die wir brauchen und bezüglich derer wir in einer kritischen Situation sind. Im März 2022 hatten wir das in Versailles angesichts des russischen Angriffs schon angelegt. Jetzt sind wir in der Lage zu einem gemeinsamen Beschaffungswesen für Standardisierung und Mobilisierung, um auf diese Weise eine größere Disponibilität in Europa zu schaffen, auch im Hinblick auf die nationalen Finanzkapazitäten.
Es gibt keine strategische Autonomie für Verteidigung und Schutz, wenn man nicht auch in Europa etwas tut. In Meseberg haben wir zusammen eine Roadmap für unsere Strategie erstellt, und sie ist immer noch voll und ganz in Kraft, wie auch der Kanzler gesagt hat. Das ist auch durch die Richtlinien der Kommission inspiriert und soll jetzt umgesetzt werden. Diese Reformen sind notwendig, um die Dinge zu vereinfachen. Die Entscheidungen von Ende Februar gehen in eine gute Richtung. Die Vereinfachung der Regeln, die Verminderung der Belastungen, „cleantech“, Unterstützung usw., dann Automobilindustrie, Stahl usw. in Europa und Chemieindustrie, wo wir Verbesserungen herbeiführen wollen, das alles geht in dieselbe Richtung, begleitende, flankierende Maßnahmen und Vereinfachung der Regeln, um auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit zu vergrößern. Für die Verstärkung des gemeinsamen Binnenmarktes sind die Präferenz- und Schutzklauseln wichtig. Wir haben in Meseberg eine historische Übereinkunft gefunden. Auf diese Weise ist es auch möglich, dass die europäischen Sparguthaben in Europa bleiben und der Wirtschaft zugutekommen. Das streben wir gemeinsam an.
Herr Kanzler, Sie waren in Ihrem Vortrag sehr vollständig. Ich brauche das nicht noch einmal im Einzelnen zu paraphrasieren. Ukraine, die Umsetzung unserer Verteidigungs- und Wettbewerbsstrategie, diese Punkte sind für uns wesentlich. Übermorgen werden wir uns wiedersehen und diese Arbeit weiterführen können. In den kommenden Wochen und Monaten wird es weitere Treffen geben, um auf diese Weise Arbeit für Europa zu leisten, unsere gemeinsame Aktion, zusammen für und mit der Ukraine, für Souveränität unserer ukrainischen Freunde, aber auch für die Verteidigungssicherheit von uns allen hier in Europa.
Ich danke Ihnen, Herr Bundeskanzler. Lieber Olaf, vielen Dank! Vielen Dank, meine Damen und Herren!