Fri. Nov 22nd, 2024

Berlin, 12. Februar 2024

Alexander Müller (FDP), Leiter der deutschen Delegation bei der Genfer Abrüstungskonferenz 

In den nächsten Jahren wird es keine neuen Abrüstungsverträge geben, sagt Alexander Müller (FDP), stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses Abrüstung. Als Delegationsleiter war er vom 4. bis 6. Februar 2024 bei der Genfer Abrüstungskonferenz und hat dort unter anderem mit dem chinesischen Sonderbeauftragten über Chinas diplomatische Rolle im Ukraine-Krieg gesprochen. Im Interview spricht Müller über die Aussicht auf neue Abrüstungsverträge, die Gefahr autonomer Waffensysteme und Deutschlands geringen Einfluss auf zukünftige Atomabkommen.

Herr Müller, Sie waren gerade als stellvertretender Ausschussvorsitzender und Delegationsleiter bei der Genfer Abrüstungskonferenz. Die Genfer Abrüstungskonferenz ist ein nationales Forum für Fragen, Diskussionen und Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle. Welche Rolle spielt die Konferenz mit Blick auf das aktuelle Weltgeschehen?

Die Konferenz ist sehr wichtig. Sie ist das weltweit einzige Forum, in dem sich Staaten mit Massenvernichtungswaffen darüber unterhalten, ob eine Begrenzung vereinbart wird. Die großen Abrüstungsabkommen, wie zum Beispiel der Start-Vertrag oder der Inf-Vertrag, wurden alle auf der Konferenz ausgehandelt. Die Schwierigkeit ist aber, dass auf der Konferenz das Konsensprinzip gilt. Und da Russland bisher das Agenda-Setting der Konferenz blockiert, wird es wohl noch Tage oder Wochen dauern, bis über das Arbeitsprogramm 2024 verhandelt wird. Es kann passieren, dass am Ende so gut wie nichts dabei rumkommt.

Worum wird gestritten? 

Es gibt 65 feste Teilnehmer an der Konferenz; auch Deutschland nimmt daran teil. Dann gibt es noch Staaten, die als Beobachter bei den Verhandlungen dabei sein möchten. In den letzten Jahren waren das immer um die 30 bis 40 Staaten. Dieses Jahr blockiert Russland alle Beobachter-Staaten. Aber es gibt noch einen anderen Fall: Auch Palästina möchte als Beobachter dabei sein, wird aber von den USA und Israel blockiert.

Am Rande der Konferenz haben Sie einige Gespräche mit Vertretern verschiedener Mitgliedsstaaten geführt. Mit wem haben Sie sich getroffen?

Die interessantesten Gesprächspartner waren der US-Sonderbotschafter und der chinesische Sonderbotschafter bei der UN-Abrüstungskonferenz. Denn sowohl die USA als auch China sind Veto-Staaten im UN-Sicherheitsrat. Wir hätten uns auch gewünscht, mit dem russischen Sonderbotschafter zu sprechen. Aber es gibt keinerlei Kontakte, nicht einmal auf Mitarbeiterebene. Das zeigt, wie eingefroren die Beziehungen sind.

Worum ging es in den Gesprächen?

Es ging um zukünftige Abrüstungsverträge. Aber das ist frustrierend. Der Leiter von Unidir, einem Forschungsinstitut der Vereinten Nationen, hat uns gesagt, dass er in den nächsten zehn Jahren kein Abkommen erwartet. Russland hat keinerlei Interesse an solchen Verträgen. Und solange Russland nicht dabei ist, sehen auch die anderen Staaten keinen Sinn in Verhandlungen über Abrüstungsabkommen. Die Chinesen sagen zum Beispiel, dass Russland erstmal seine Bestände reduzieren muss, damit sie über ihre Bestände reden. Da China vergleichsweise geringe Bestände hat, macht es aus ihren Augen keinen Sinn, ohne Russland zu verhandeln. Die Blockade Russlands führt daher dazu, dass es kaum Fortschritte bei Abrüstungsgesprächen gibt.

Das heißt, in naher Zukunft wird es keine weiteren Abrüstungsverträge geben?

Es gibt verschiedene Gesprächsrunden, in denen über bestimmte Themen gesprochen wird. Aber Vereinbarungen sind noch lange nicht in Sicht. Es gibt zum Beispiel internationale Bestrebungen, tödliche autonome Waffen zu verbieten – oder zumindest zu regulieren. Auf internationaler Ebene fehlt bislang jedoch eine allgemein akzeptierte Definition, da es Waffensysteme mit verschiedenen Autonomiegraden gibt. Man unterscheidet zum Beispiel zwischen „human in the loop“, „human on the loop“ und vollautonomen Systemen („human out of the loop“), welche beispielsweise mittels KI und Gesichtserkennung aktiv werden. Es wird vermutet, dass die USA und China in der Forschung dazu führend sind. Doch das ist geheim. Keiner weiß, wie weit der andere ist. Und natürlich haben diese Staaten auch kein Interesse an Abrüstungsverträgen über diese Art von Waffen. Trotzdem ist es wichtig, dass man darüber spricht.

Welchen Standpunkt vertritt Deutschland bei der Abrüstungsfrage? 

Im Deutschen Bundestag sind wir uns einig, dass wir vollautonome letale Systeme international ächten wollen. Sollte es in einem ersten Schritt zu einer Regulierung kommen, würden wir das sehr befürworten. Der Mensch muss immer die Verantwortung darüber haben, ob tödlich gewirkt wird oder nicht. Auch Verhandlungen zur Abrüstung von Atomwaffen würden wir sehr begrüßen. Deutschland hat leider nur einen geringen Einfluss, da wir selbst keine atomaren Sprengköpfe besitzen. Daher müssen wir so ehrlich sein und uns eingestehen, dass wir hier nur Zuschauer sind. In der Geschichte gab es nur einen einzigen Moment, in dem Deutschland aktiv zur atomaren Abrüstung beitragen konnte: das war der Nato-Doppelbeschluss. Die Folge war, dass sich Russland an den Verhandlungstisch gesetzt hat und die großen Abkommen miteinander verhandelt werden konnten.

Braucht es also einen Nato-Doppelbeschluss 2.0?

Ich denke nicht, dass das sinnvoll wäre. Damit würden wir indirekt eine Drohung Richtung Russland schicken. Russland steht seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine sehr unter Druck. Und wir haben kein Interesse daran, dass Russland innerlich zerfällt. Man muss also darauf setzen, dass das Regime irgendwann vernünftig wird – aus welchem Grund auch immer.

Wurde der Angriffskrieg auf der Konferenz thematisiert?

Nur am Rande. Auf der Konferenz ging es um die Abrüstung atomarer, chemischer und biologischer Waffen. Konventionelle Waffen, wie sie in der Ukraine zum Einsatz kommen, spielen nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings haben wir in unserem Gespräch mit den Chinesen über die russischen Drohungen gesprochen. Russland droht der Ukraine immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen. Diese Drohungen heißt China nicht gut. Sie haben die klare Doktrin, dass Atomwaffen nur für den Zweitschlag eingesetzt werden dürfen, niemals für den Erstschlag. Auf diplomatischer Ebene und unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird Putin daher von den Chinesen gelegentlich zurechtgewiesen. Wir befürworten Chinas Rolle hier sehr und haben das auch in unserem Gespräch zum Ausdruck gebracht.

Das Bundeskabinett hat unmittelbar nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr eingesetzt. Steht das im Wiederspruch zum Gedanken der Abrüstung?

Jein. Auf den ersten Blick könnte man einen Widerspruch sehen. Aber Deutschland hat weder atomare noch biologische oder chemische Waffen. Auch Antipersonenminen besitzen wir nicht mehr. Und unsere Antipanzerminen schalten sich nach sieben Tagen ab. Das heißt, die Minen sind nach einer Woche unschädlich. Wir erfüllen also alle Standards. Und mit dem Sondervermögen möchten wir die Bundeswehr vor allem wieder funktionstüchtig machen. Das Ziel ist nicht, dass wir eine Überlegenheit in der Anzahl der Waffensysteme haben, sondern dass die Waffen, die wir bereits besitzen, wieder funktionieren.

Welche Themen stehen über die Konferenz hinaus auf der Agenda des Unterausschusses mit denen Sie sich in naher Zukunft befassen?

Wir beschäftigen uns regelmäßig mit allen Fragen zur Abrüstung. Das können auch aktuelle Themen sein. Nach dem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 haben wir uns beispielsweise mit der Frage befasst, über welche Kanäle die Hamas ihre Waffen erhalten hat. Wir besprechen aber auch, welche Staaten Russland illegalerweise mit Waffenlieferungen unterstützen. Dazu laden wir oft Experten ein; das sind meistens NGOs, aber auch Vertreter der Bundesregierung. Deshalb tagt unser Unterausschuss auch nicht öffentlich, denn in den Gesprächen geht es oftmals um Informationen, die die Sicherheit der Bundesrepublik gefährden könnten. (mtt/12.02.2024)

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