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Berlin, 24. Juni 2024

Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz beim Tag der Industrie am 24. Juni 2024 in Berlin:

Sehr geehrter Herr Russwurm,
sehr geehrte Frau Gönner,
meine Damen und Herren,

ich habe viel geklatscht. Insofern habe ich bei Ihrer Rede viel Übereinstimmung festgestellt.

Zusammenhalt in polarisierten Welten. Ich finde es gut und wichtig, dass sich in diesem Jahr dieses Motto und – so verstehe ich es – auch diese Aufgabe für Sie gestellt hat.

Dass unser Zusammenhalt in Deutschland und in Europa gefährdet ist, hat nicht zuletzt auch der Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament gezeigt. Pandemie, Krieg, Klimawandel, irreguläre Migration, Inflation: Große Krisen haben viele Bürgerinnen und Bürger enorm verunsichert, so sehr verunsichert, dass gar nicht so wenigen die Zuversicht abhanden zu kommen droht, dass wir durch das durchkommen, dass wir die Aufgaben, die wir vor uns haben, bewältigen werden, dass die Transformation unserer Wirtschaft keine abstrakte Bedrohung ist, sondern eine Chance, das Land zu modernisieren und neues Wachstum zu schaffen.

Auf diese Zweifel müssen und werden wir reagieren. Wir, das sind alle verantwortlichen Kräfte in unserem Land: Politik, Wirtschaft, und Zivilgesellschaft, Bund, Länder und Gemeinden, Regierung und demokratische Opposition.

Es steht viel auf dem Spiel. In vielen Ländern Europas haben Parteien und Bündnisse zugelegt, die spalten wollen, die brechen wollen mit der Europäischen Union (EU), mit unserem Wirtschaftsmodell, mit dem Sozialstaat, mit unserer transatlantischen Bindung, mit den Prinzipien von Freiheit und Demokratie. Wenn wir diesen Trend stoppen wollen, dann müssen wir alles daransetzen, Zusammenhalt und Zuversicht zu stärken und in Teilen auch neu zu begründen. Das ist die zentrale Aufgabe unserer Zeit. Das ist auch meine wichtigste Aufgabe als Bundeskanzler. Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen die enge Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Politik, um sie gemeinsam zu meistern.

Es wäre falsch, in einen Wettbewerb mit den Populisten und Extremisten einzusteigen und in ihr Geschäft mit den Sorgen der Leute angesichts der Krisen. Wir, die wir Verantwortung für unser Land tragen, müssen immer wieder in der Sache antworten, immer wieder konkret zeigen, dass Politik und Wirtschaft ernsthaft an Lösungen arbeiten und dass wir zu Verständigungen fähig sind, die unser Land voranbringen. Wir müssen auch herausstellen, dass es unser Modell der Freiheit ist, das auch wirtschaftlich die besten Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet. Das schützt übrigens auch vor einer Nullsummenspielmentalität, die Neid und Missgunst fördert. Wachstum kann uns davor schützen, dass es immer nur um die Verteilung des gleichen Kuchens geht.

Zusammenhalt in polarisierten Welten, darum geht es auf drei verschiedenen, aber natürlich sehr eng miteinander verbundenen Ebenen: global, in Europa und in Deutschland.

Mit der globalen Perspektive möchte ich beginnen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt uns täglich vor Augen, wo der tiefste geopolitische Bruch derzeit verläuft: zwischen den Verteidigern der Charta der Vereinten Nationen und denen, die das Völkerrecht durch das Faustrecht ersetzen wollen. Dass wir das nicht hinnehmen, haben wir vor wenigen Tagen im Kreis der G7 und auf der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz noch einmal bekräftigt. Ich bin dankbar dafür – Sie haben es eben noch einmal unterstrichen –, dass auch die deutsche Wirtschaft diesen Kurs seit Beginn des russischen Angriffskriegs aus voller Überzeugung mitträgt. Danke für diese Solidarität!

Mehr noch: Deutsche Unternehmen spielen heute schon eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung, beim Wiederaufbau und der europäischen Integration der Ukraine. Das ist bei der Wiederaufbaukonferenz hier in Berlin deutlich geworden, auf der Vereinbarungen und Ankündigungen im Umfang von 16 Milliarden Euro für den Wiederaufbau erzielt wurden, viele auch von deutschen Unternehmen. Auch dafür möchte ich mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich bedanken.

Ein weiteres Feld der globalen Fragmentierung ist der Freihandel. Überall werden die Zäune engmaschiger. Neue Handelsschranken werden hochgezogen. Von allen möglichen Formen von „shoring“ ist die Rede, zum Beispiel von „friendshoring“. Das ist nicht meine Politik als Bundeskanzler. Natürlich müssen wir unsere Wirtschaft vor unfairen Handelspraktiken schützen, idealerweise mit einvernehmlichen Lösungen. Deshalb ist es gut, dass die EU-Kommission der chinesischen Seite im laufenden Antisubventionsverfahren weitere Gespräche anbietet. Ich habe sehr darauf gedrungen und auch mit der Kommissionspräsidentin sehr sorgfältig darüber gesprochen. Bis zum 4. Juli ist ja noch ein wenig Zeit. Klar ist aber, dass wir auch von der chinesischen Seite an dieser Stelle ernsthafte Bewegung und Fortschritte benötigen werden.

Freihandel ist eine der Grundlagen unseres Wohlstands in Deutschland und in Europa. Deswegen werde ich mich gegenüber der neuen EU-Kommission mit Nachdruck für mehr und bessere Freihandelsverträge einsetzen. Sie haben von dieser Notwendigkeit bereits gesprochen. Lassen Sie es mich etwas flapsig sagen: Wir haben die Zuständigkeit für die Handelspolitik nicht an Europa gegeben, damit keine Abkommen mehr geschlossen werden, sondern damit mehr Abkommen zustande kommen. Davon kann, ehrlich gesagt, gegenwärtig nicht die Rede sein. Das ist in der geopolitischen Lage, in der wir uns befinden, nicht akzeptabel. Ich erwarte von der nächsten Kommission und auch von den anderen Mitgliedstaaten, dass wir uns hierzu zusammenraufen und endlich vorankommen.

Eine Beschleunigungsmaßnahme könnte sein, Handelsabkommen „EU only“ abzuschließen, um so jahrelange Verzögerungen durch die Ratifizierungsprozesse in den Mitgliedstaaten zu verhindern. Diese Diskussion müssen wir sehr sorgfältig führen. Aber wir brauchen etwas mehr Pragmatismus und mehr Geschwindigkeit in dieser Angelegenheit. Wenn wir dann Freihandelsverträge haben, in denen nicht all das steht, was man sich wünschen könnte, die aber schnell geschlossen werden, dann haben wir alle einen Gewinn davon.

Damit sind wir bei Europa und der Frage, wie wir den Zusammenhalt auf unserem Kontinent stärken. Die kurze Antwort: Damit Europa weiterhin erfolgreich ist, müssen wir offen bleiben, resilient und wirtschaftlich stark. Überragend wichtig dabei ist: Unsere Unternehmen brauchen bessere Finanzierungsmöglichkeiten, damit sie in Deutschland und Europa wachsen können und nicht aus Gründen mangelnden Kapitalzugangs beispielsweise in die USA abwandern. Deshalb setze ich mich gemeinsam mit dem französischen Präsidenten vehement dafür ein, die Kapitalmarktunion endlich zustande zu bringen. Das will ich an dieser Stelle ausdrücklich unterstreichen. Ich glaube, das ist eines der zentralen Wachstumshemmnisse, das wir in Europa haben. Das ist kein abstraktes Politikerwort. Wir haben einmal untersucht, wie viele Start-ups, die dabei waren, zu großen Unternehmen zu wachsen, dieses Wachstum anderswo fortsetzen, weil der Kapitalzugang nicht funktioniert hat. Wir müssen es endlich schaffen, dass das viele Geld, das in Europa real vorhanden ist, auch privatwirtschaftlich in Unternehmen und ihr Wachstum in Europa investiert wird. Die Hürden, die dem entgegenstehen, müssen jetzt und in dieser Legislaturperiode der Kommission beseitigt werden.

Gleichzeitig arbeiten wir im Sinne der europäischen Industrie weiterhin daran, den Binnenmarkt auszubauen, wo er noch fragmentiert ist. Sie haben das Thema ebenfalls angesprochen. Das gilt ganz besonders für die Verteidigungsindustrie und bei Zukunftstechnologien wie Raumfahrt und künstlicher Intelligenz. Da gibt es ungenutzte Skaleneffekte. Diese wollen wir heben, wie wir uns das in der Mikroelektronik oder bei Batterietechnik schon angeschaut und vorangebracht haben.

Zuletzt ist es wichtig, dass wir das enorme Dickicht an Bürokratie auf EU-Ebene lichten. Wir erwarten von der neuen Kommission einfachere und schnellere Verfahren und einen ambitionierten Plan zum Abbau von Bürokratie. Bei handelsrechtlichen Berichtspflichten haben wir kleine und mittlere Unternehmen schon erheblich entlastet. Mehr als 50.000 Unternehmen in Deutschland profitieren jetzt davon. Gleichzeitig setzen wir uns bei der EU-Kommission dafür ein, dass noch mehr kleine und mittlere Unternehmen bei Verwaltungsausnahmen und dem Zugang zu Fördermitteln berücksichtigt werden. Das wäre eine ganz erhebliche Erleichterung für den deutschen Mittelstand, und deshalb bleiben wir daran. Ich kann Ihnen heute zusagen: Auch die europäische Lieferkettenrichtlinie werden wir in Deutschland für eine unternehmensfreundliche Gesetzgebung nutzen.

Damit bin ich bei meinem dritten Punkt: Wie stärken wir den Zusammenhalt in Deutschland?

Auch hier die Kurzversion vorab: Es geht darum, unser Land so zu modernisieren, dass die Bürgerinnen und Bürger die Zuversicht zurückerlangen, dass es gut ausgeht für uns alle, dass die Kräfte, die in unserem Land stecken, der Fleiß, der Erfindungsgeist, die Innovationskraft, auch heute noch tragen und uns eine gute Zukunft sichern werden.

Ja – ich habe es schon gesagt –, dafür braucht es wirtschaftliches Wachstum und einen leistungsfähigeren Staat, für seine Bürgerinnen und Bürger genauso wie für die Unternehmen. Sie haben Recht, lieber Herr Russwurm, wenn Sie in Ihrem jüngsten Positionspapier zum Standort Deutschland, das Sie hier dargestellt haben, feststellen:

Über Jahre wurde zu wenig investiert und wurden nötige strukturelle Reformen in unserem Land ausgesessen.

Wenn man viel sitzt und dann nach langer Zeit wieder ans Laufen kommt, dann tut es am Anfang in den Beinen weh. Das kann ich Ihnen als jemand sagen, der erst sehr spät in seinem Leben zum Joggen, zum Sport gekommen ist und deshalb all diese Dinge einmal durchgemacht hat. Der erste Muskelkater schmerzt besonders. Aber er ist ein notwendiger Schritt, um fitter zu werden und bei jedem Lauf mehr Tempo zu machen. Genau da sind wir in Deutschland gerade.

Natürlich höre ich bei meinen Besuchen in Unternehmen im ganzen Land und bei meinen regelmäßigen Gesprächen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und anderen Wirtschaftsverbänden, wo die Probleme liegen. Arbeitskräftemangel, ein verlässliches, bezahlbares Energiesystem, zu geringe Investitionen, zu viel Bürokratie und überhaupt zu wenig Tempo, das sind die Baustellen, die deshalb auch nicht zufällig im Zentrum meiner Arbeit stehen und die der Kern dessen sind, was ich eine moderne Angebotspolitik nenne, mit der wir Deutschland fit bekommen.

Stichwort „Arbeitskräftemangel“:

Wir haben angepackt und unter anderem das modernste Einwanderungsrecht beschlossen, das dieses Land je hatte. Auch Sie haben es so bezeichnet. Seit Anfang dieses Monats ist mit der Chancenkarte nun auch der dritte und letzte Baustein des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in Kraft getreten, damit Sie die Talente bekommen, die Sie in Ihren Unternehmen brauchen.

Wir bleiben daran. Wir haben im Übrigen auch schon das, was Sie eben mit Blick auf die Digitalisierung gesagt haben, in Angriff genommen. Jedenfalls planen wir, dass alle Konsulate Deutschlands ab dem Beginn des nächsten Jahres, ab Beginn des Jahres 2025, digitalisiert sein werden. Es wäre natürlich ein großer Fortschritt, wenn es uns tatsächlich gelänge, dieses Ziel zu erreichen.

Auch verhandeln wir über ein Dynamisierungspaket, um unter anderem das Arbeitsangebot in Deutschland auszuweiten, indem wir freiwilliges längeres Weiterarbeiten deutlich attraktiver machen und indem wir mehr dafür tun, um die Erwerbstätigkeit von Eltern zu erleichtern, aber auch indem wir Arbeitsanreize für alle anderen erhöhen, zum Beispiel auch durch steuerliche Anreize.

Stichwort „Energie“:

Wenn wir uns bald mit der EU-Kommission auf den Rahmen für eine Kraftwerksstrategie einigen, dann haben wir fast alle Elemente zusammen, die wir für ein dekarbonisiertes Stromsystem in Deutschland brauchen: die Beschleunigung beim Ausbau der erneuerbaren Energien, den Ausbau der Stromnetze, die Kraftwerksstrategie, damit „twenty-four seven“ genügend Strom vorhanden ist, unsere Strategie zur Speicherung von CO2 und die Einigung auf den Rahmen für das Wasserstoffkernnetz. Das alles sind zentrale Fragen. Beim Wasserstoffkernnetz sind wir den ersten Schritt gegangen, übrigens mit einer privatwirtschaftlichen Lösung, deren Rahmen wir geschaffen haben. Wir haben nicht darauf gesetzt, dass der Staat dieses Netz errichtet, sondern wir haben dafür gesorgt, dass die bisherigen Gasnetzbetreiber im Wesentlichen diese Investitionen tätigen können. Wir haben dafür gesorgt, dass eine Behörde dafür zuständig ist, die Bundesnetzagentur, damit sie das Ineinandergreifen der Netzstrukturen gut planen kann und damit nicht plötzlich jemandem das Gas abgeschaltet wird, der es noch braucht, weil man da jetzt gern eine Wasserstoffleitung hätte, und natürlich auch deswegen, damit der nächste von Ihnen eben angemahnte Schritt erfolgt, geplant für das nächste Jahr, der dann die Weiterplanung des Verteilnetzes auch für Wasserstoff bedeutet, sodass alle wissen: Sie kommen auch daran. – Alles das ist zentral. Dann haben wir auch die Planungssicherheit, die wir brauchen. Dann können wir Stück für Stück darüber reden, dass man weiß, wo es jetzt langgeht, und darauf setzen kann, auch bei den langfristigen Investitionen für unser Land.

Es bleibt die Frage der Energiepreise. Auch dazu haben wir uns mit dem BDI und den weiteren Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zuletzt intensiv ausgetauscht. Mir ist bewusst, dass die Transformation und die weltweit unterschiedlichen Energiepreisniveaus – heute wie gestern – eine Herausforderung für den Standort Deutschland darstellen. Immerhin hat sich die Situation bezüglich der Energiepreise gegenüber den Krisenjahren deutlich entspannt, und die Märkte erwarten weitere positive Entwicklungen. Das hat mit unserer Ausweitung des Angebots zu tun – Stichwort: „LNG-Terminals“ –, aber auch mit der Abschaffung der EEG-Umlage, der Absenkung der Stromsteuer für produzierende Unternehmen auf den europäischen Mindestsatz und der Fortschreibung und Ausweitung der Entlastungen für energieintensive Unternehmen. Das ist eine Entlastung um viele Milliarden, die jetzt in vielen Fällen vom Steuerzahler als Gesamtheit geschultert werden.

Wie wir das verstetigen, auch darüber sprechen wir übrigens gerade intensiv. Denn auch hier gehört es dazu, dass Planungssicherheit gegeben sein muss. Wenn eine Entlastung auf ein paar Jahre festgeschrieben ist, dann überlegt man bei einer mehrjährigen Investition, wie es danach sein wird. Dazu sollen Sie Klarheit bekommen. Das ist ein Thema, über das wir reden.

Gleichzeitig geht es natürlich auch um das Thema der Netzentgelte der Zukunft. Wir werden deshalb den Netzausbau bedarfsgerecht, wirtschaftlich und effizient ausgestalten und dadurch Kosten senken. Mit dem schnelleren Ausbau der Übertragungsnetze sinken perspektivisch viele Kosten, zum Beispiel auch die Redispatchkosten. Sie haben in einem Jahr schon einmal 4,8 Milliarden betragen, zuletzt drei Milliarden. Dabei geht es um richtig viel Geld. Deshalb ist es ganz zentral, dass wir diesen Ausbau vorantreiben. Mit jeder Leitung, die fertiggestellt wird, entstehen Kostensenkungen, die für alle wirksam werden.

Stichwort „Investitionen“:

Ich habe das aktuelle BDI-Papier dazu bereits erwähnt, das ja auch öffentlich auf große Resonanz gestoßen ist. Ich stimme Ihrer Analyse vollkommen zu. Wir brauchen hohe Investitionen. Denn wir haben unsere Infrastruktur, wie schon gesagt, zu lange auf Verschleiß gefahren. Dafür zahlen wir heute doppelt und dreifach, zum Beispiel mit Zugverspätungen, mit Brückensperrungen und maroden öffentlichen Gebäuden.

Die Antwort kann nur sein, weiterhin auf hohem Niveau zu investieren, und zwar in die Infrastruktur, in die wirtschaftliche Modernisierung und in unsere Resilienz. Das tun wir in diesem Jahr mit über hundert Milliarden Euro an Zukunftsausgaben. Wir bewegen uns damit auf deutlich höherem Niveau als vor der Pandemie.

Ich will dem Ergebnis unserer laufenden Verhandlungen zum Haushalt 2025 nicht vorgreifen. Aber so viel kann ich schon sagen: Zukunftsinvestitionen für unser Land werden auch im nächsten Jahr hohe Priorität haben.

Natürlich wollen wir auch private Investitionen fördern. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in Sachen von Abschreibungen und Forschungsförderung noch eine Schippe auf das drauflegen, was uns mit dem Wachstumschancengesetz gelungen ist. Dafür brauchen wir, wie wir gesehen haben, aber natürlich die Zustimmung von vielen, zum Beispiel auch der Länder. Aber ich hoffe, auch mit Ihrer Unterstützung geht da in den kommenden Monaten noch etwas!

Das bringt mich zum letzten Stichwort: „Tempo“.

Der Faktor Zeit, so schien es, spielte in den vergangenen Jahrzehnten so gut wie keine Rolle. Egal ob es um den Ausbau von Schiene, Straßen, Brücken, Mobilfunk, Glasfaser oder Energieversorgung ging, überall das gleiche Bild, überall die gleiche Antwort: Superkompliziert, das dauert alles ewig.

Diese Bundesregierung ist angetreten, um diesen untragbaren Zustand der Selbstlähmung zu überwinden.

Ich nenne ein paar Beispiele – es sind bewusst Beispiele – dafür, was wir schon auf den Weg gebracht haben, auch, um Sie zu motivieren, dass Sie uns antreiben, noch mehr zu tun.

Wer schon einmal mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu tun hatte, der weiß: Es hält, was sein bürokratischer Name verspricht. Dabei werden Unternehmen in Deutschland bis 2030 20.000 Genehmigungen dieser Art brauchen – zusätzlich. Dabei geht es um die Modernisierung von Industrieanlagen, um den Ausbau von Speichern, um nachhaltige Energieversorgung oder um Elektrolyseure, die wir zur Wasserstoffproduktion brauchen. Mit dem bisherigen Tempo und Prüfaufwand bekommen das unsere Ämter auch beim besten Willen nicht hin. Die sind ja heute schon am Limit. Deshalb haben wir gerade die größte Reform seit 30 Jahren in diesem Bereich beschlossen, und zwar endlich eine, die Dinge einfacher macht. Künftig gilt: In den allermeisten Fällen kann losgebaut werden, noch während das Genehmigungsverfahren läuft, Stichwort „vorzeitiger Maßnahmenbeginn“. Dass das gut funktioniert, haben wir zum Beispiel bei den Flüssiggasterminals oder beim Bau der Tesla-Fabrik in Brandenburg gesehen.

Wir verzichten an schon bestehenden Standorten grundsätzlich auf vorgelagerte Prognoseentscheidungen – noch so ein schönes Wort in Behördendeutsch. Man traut es sich kaum zu sagen, aber diese Vorprüfung hatte bisher genauso lange gedauert wie manchmal das Genehmigungsverfahren selbst, nämlich rund zehn Monate, und das waren dann die schnellen Genehmigungsverfahren.

Ein Erörterungstermin findet künftig nur noch statt, wenn der Antragsteller das möchte, und dann muss das binnen vier Wochen passieren.

Unterlagen können künftig nachgereicht werden, ohne dass das ganze Genehmigungsverfahren dadurch aufgehalten wird.

Damit die Behörden auch wirklich zu Potte kommen, können Genehmigungsfristen nicht mehr beliebig verlängert werden, sondern nur noch ein einziges Mal und das um maximal drei Monate.

Damit solch eine Genehmigung nicht zwischen die Räder von Denkmalschutz, Brandschutz, Bauaufsicht, Wasser- und Bodenmanagement, Natur- und Umweltschutz, Straßen- und Verkehrsrecht gerät, kann die hauptzuständige Behörde den anderen künftig Fristen setzen oder bei Verzögerungen für sie mitentscheiden.

Um die Ämter zu entlasten können Unternehmen Projektmanager einsetzen, die das Projekt von A bis Z betreuen und in Zusammenarbeit mit den Ämtern alle Genehmigungen besorgen.

Nicht zuletzt werden alle Verfahrensschritte komplett digitalisiert.

Wer einmal ein immissionsschutzrechtliches Verfahren durchlaufen hat, der weiß, was das bedeutet: Es ist nerven- und rückenschonend, weil nicht mehr Dutzende Aktenordner mit Bauplänen, Prüfberichten und Gutachten in irgendwelche Ämter getragen werden müssen.

Zweites Beispiel: Verkehr. Den spürbarsten Nachholbedarf – das hat ja auch Ihre Studie herausgearbeitet – haben wir, was Straßen, Schienen und Brücken betrifft. Hier heißt das Zauberwort: „überragendes öffentliches Interesse“.

Das bedeutet nichts anderes, als dass die Sanierung der Bahn, der Ausbau von Nadelöhren auf unseren Autobahnen und der Neubau maroder Brücken jetzt rechtlich absolute Priorität genießen. Das bedeutet weniger Prüfaufwand, weniger Gutachtenberge, weniger Verzögerungsmöglichkeiten und vor allem viel mehr Tempo!

Allein die Liste der 138 beschleunigten Autobahnprojekte liest sich wie das „Best of“ der deutschen Staunachrichten: Kamener Kreuz, Autobahnkreuz Mannheim, Heumarer Dreieck, Frankfurter Nordwestkreuz, Autobahndreieck Hannover-West – wahrscheinlich jeder hat da schon gestanden und geflucht. Das geht jetzt voran mit den Genehmigungen und dem Ausbau.

Auch beim Ausbau der Schiene wollen wir weniger Störungen und mehr Verlässlichkeit im gesamten Netz. Mit der Einigung im Vermittlungsausschuss haben wir deswegen den Weg für die umfassende Sanierung, Modernisierung und Digitalisierung der am stärksten belasteten Korridore frei gemacht.

Auch die Länder wirken mit; denn wir haben ja einen Deutschlandpakt mit ihnen abgeschlossen, der im Herbst verabredet wurde. Nur ein Beispiel: Wenn bisher eine marode Brücke einfach nur durch eine neue ersetzt werden musste, war ein komplett neues Planfeststellungsverfahren nötig – mit allem, was dazugehört: Einreichung der Pläne, öffentliche Bekanntmachung, Auslegung der Planunterlagen usw. usf. Jetzt hat Niedersachsen das einfach abgeschafft, zumindest dann, wenn die neue Brücke nicht deutlich größer wird oder völlig anders verläuft. Das heißt konkret: Schon jetzt gibt es in Niedersachsen 30 Brückenneubauten, bei denen auf ein solch formelles Verfahren komplett verzichtet wird. Das ist ein gutes Beispiel. So kriegen wir Tempo hin!

Drittes Beispiel: Netzausbau.

Niemand konnte mir erklären, weshalb eine aufwändige Bundesfachplanung, ein komplettes Planfeststellungsverfahren oder eine Alternativenprüfung notwendig ist, die zusammen Jahre dauern, wenn eine Stromleitung einfach nur dort verlegt werden soll, wo auch heute schon eine liegt. Über all die Prüf- und Genehmigungserfordernisse ist der Bau neuer Leitungen zum Generationenprojekt geworden. Also haben wir gesagt: Weg mit überflüssigen Extrarunden. Allein die Bündelung neuer und bestehender Leitungen spart im Schnitt zweieinhalb Jahre. Selbst Projekte, die schon laufen, werden dadurch schneller fertig, zum Beispiel die enorm wichtige Ultranet-Stromtrasse von Nordrhein-Westfalen nach Baden-Württemberg – Fertigstellung nun 2026 statt 2027. Wann – darf ich das hier einmal fragen? – hat jemand in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt einmal gehört, dass solch ein Großprojekt nicht Jahre später fertig wird, sondern deutlich früher?

Von den 14.000 Kilometern an neuen Stromleitungen, die bisher gesetzlich vorgeschrieben sind, ist inzwischen über ein Drittel fertiggestellt, im Bau oder genehmigt. Verglichen mit Ende 2019 haben wir die Ausbauzahlen verdoppelt, und das ist erst der Anfang; denn mit den beschlossenen Vereinfachungen werden wir noch schneller. Die Bundesnetzagentur erwartet, bis Ende 2025 einen großen Teil der Bundesvorhaben genehmigt zu haben.

Noch ein Beispiel: Energieversorgung. Beim Ausbau von Wind- und Solarenergie sehen wir Zuwachsraten, die noch vor zwei Jahren kaum einer für möglich gehalten hätte. Für Solarstrom steht im EEG als Ziel für Ende 2024: 88 Gigawatt. Dieses Ziel haben wir bereits Anfang Mai erreicht statt Ende Dezember. Wir sind also „on track“. Weil die Förderung attraktiver wurde, weil wir dafür gesorgt haben, dass Direktvermarktungskosten wegfallen, gibt es auch große Anlagen, die davon profitieren.

Für die Windenergie gilt das Gleiche. Hier sind Windräder über Jahre hinweg politisch bekämpft worden. Selbst da, wo man das Potenzial von Windkraft früh erkannt hatte, waren unsere Verfahren zu kompliziert und langwierig. Wir haben jetzt all diese Verfahren verkürzt und dazu beigetragen, dass das alles schneller geht. Das führt dazu, dass die Dinge im Schnitt auch tatsächlich zwei Jahre früher fertig werden, als das bisher der Fall war.

In dem Sinne glaube ich, dass wir ein großes Tempo gewonnen haben und dass wir dieses Tempo auch in den nächsten Jahren beibehalten werden. Ich jedenfalls bin fest davon überzeugt, dass wir jetzt eine Situation haben müssen, in der wir diesen Ausbau unserer Energieerzeugungsanlagen auch weiter vorantreiben.

Ich erspare Ihnen weitere Details, aber einmal musste das sein, weil ich Ihnen ankündige, dass wir mit dieser Präzision durch das gesamte Planungsrecht in Deutschland marschieren werden und dafür sorgen werden, dass die Dinge, die in Deutschland schnell geschehen müssen, auch schnell geschehen.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen.

Aus meiner Sicht haben wir Großes in unserem Land nötig. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Tempo entsteht, dass wir die Bürokratie abbauen, dass investiert wird, privatwirtschaftlich und vom Staat, in dem notwendigen Ausmaß, das wir brauchen.

Wir müssen auch ein bisschen dafür sorgen, dass wieder Zuversicht auf die Zukunft entsteht. Das kann man in dem Tempo erreichen, an dem die Leute sehen: Es geschieht etwas!

Das gilt nicht nur für alle Bürgerinnen und Bürger ganz privat, das gilt natürlich auch für die Unternehmen. Denn sie müssen wissen, wenn sie investieren, dass das eine Investition ist, die sich auch über die langen Zeiträume hinweg, die diese Investition tragen muss, tatsächlich rechnet. Dass die Bedingungen stimmen, dass es immer genügend bezahlbare Energie gibt, dass sie gewissermaßen das Umfeld haben, das sie dazu brauchen.

Aber wenn wir das machen, wenn die Jahre des Aussitzens vorbei sind, wenn wir das Potenzial wecken, das in unserem Land steckt, dann haben wir auch eine gute Zukunft vor uns, und zwar auch in polarisierten Zeiten. Dann können wir stark sein in Deutschland, in Europa, und friedlich mit den übrigen Ländern der Welt leben.

In diesem Sinne: Schönen Dank!

Quelle – Bundesregierung

 

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