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Am 1. Juni 2021 beginnt die Europäische Staatsanwaltschaft offiziell ihre Arbeit. Weitgehend unbemerkt kommt die Schaffung einer EU-Staatsanwaltschaft einer Revolution in der europäischen Rechtsdurchsetzung gleich. Das ist der größte Integrationschritt seit die gemeinsame Bankenaufsicht beschlossen wurde – und das in einem so sensiblen Bereich wie der Rechtspolitik. Europa geht voran!
Der Start der Europäischen Staatsanwaltschaft ist ein großer Erfolg für Europa, der zeigt: verstärkte Zusammenarbeit funktioniert. 22 Mitgliedstaaten haben sich für diesen wichtigen Integrationsschritt zusammengetan. Dänemark, Schweden, Irland, Polen und Ungarn sind zwar vorerst nicht dabei – sie konnten diese wichtige Errungenschaft aber auch nicht blockieren. Und in grenzüberschreitenden Betrugsfällen fallen auch diese Länder in der Zuständigkeitsbereich der neuen Staatsanwaltschaft. Damit ist die EU-Staatsanwaltschaft ein Vorbild für andere Bereiche: Europa muss nicht stehen bleiben, wenn einzelne blockieren. Europäische Fortschritte für mehr Handlungsfähigkeit und Einigkeit sind auch möglich, indem einige Länder vorangehen.
Hauptaufgabe der EU-Staatsanwaltschaft ist es, die finanziellen Interessen der EU zu schützen. Das heißt, sie kann überall dort aktiv werden, wo Kriminelle die EU um Einnahmen bringen, oder wo ausgegebene EU-Gelder veruntreut werden. Laut dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) meldeten nationale Behörden im Jahr 2018 Betrug zulasten des EU-Haushalts in Höhe von 1197 Millionen Euro – in dieser Summe ist Umsatzsteuerbetrug noch nicht mitgerechnet. EU-Staatsanwält*innen aus 22 EU-Ländern arbeiten zukünftig gemeinsam an schweren Fällen von Betrug, Korruption oder grenzüberschreitendem Umsatzsteuerbetrug. Damit haben die europäischen Steuerzahler*innen endlich einen starken Anwalt – bzw. eine starke Anwältin – auf EU-Ebene!
Die erste Generalstaatsanwältin der EU ist Laura Codruța Kövesi. Kövesi war bis Juli 2018 Leiterin der anti-Korruptionsbehörde in Rumänien und überführte viele führende Politiker der Korruption. Sie war außerdem die erste weibliche Generalstaatsanwältin in Rumänien und bisher die einzige Person auf diesem Posten, die zwei volle Amtszeiten absolviert hat. Mit Laura Kövesi haben wir eine glaubhafte, erfahrene und standhafte Vorkämpferin für Rechtsstaatlichkeit an der Spitze der Europäischen Staatsanwaltschaft. Das Europaparlament hatte Kövesi im Februar 2019 für den Posten nominiert, gegen den erbitterten Widerstand der Sozialdemokraten und der Mehrheit der Liberalen. Hintergrund hierfür war eine aggressive Kampagne der sozialdemokratisch-liberalen Regierungskoalition in Rumänien gegen die rumänische Kandidatin. Grüne und Christdemokrat*innen (EVP) unterstützten Kövesi von Anfang an.
Wie ist die europäische Staatsanwaltschaft aufgebaut?
Laura Kövesi wird unterstützt von den beiden stellvertretenden Europäischen Generalstaatsanwälten Danilo Ceccarelli aus Italien und Andrés Ritter aus Deutschland. Kövesi und ihre beiden Stellvertreter leiten die Arbeit der EU-Staatsanwaltschaft und koordinieren die Arbeit mit anderen EU-Institutionen, den Mitgliedstaaten sowie Drittländern. Ceccarelli und Ritter sind außerdem Teil des 22-köpfigen Kollegiums, das gemeinsam mit Kövesi wichtige strategische Entscheidungen trifft und die Kohärenz und Effektivität der operativen Arbeit überwacht. Das Kollegium besteht aus einem Europäischen Staatsanwalt oder – anwältin pro teilnehmendem Mitgliedstaat. Um die Unabhängigkeit ihrer Arbeit zu gewährleisten, sind die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ab dem Moment ihrer Ernennung vor jeglicher Einflussnahme sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene geschützt. Damit soll jegliche politische Einflussnahme auf ein Strafverfahren verhindert werden. Bei der operativen Arbeit wird das Team der Europäischen Staatsanwaltschaft mit Sitz in Luxemburg von sogenannten Delegierten Europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in den teilnehmenden Mitgliedstaaten unterstützt (mindestens 2 pro Land). Die Delegierten Europäischen Staatsanwältinnen und -anwälte sind für die Ermittlung und Anklage von relevanten Straftatbeständen in den jeweiligen EU-Ländern verantwortlich. Ihre Arbeit wird von einer der Kammern der EU-Staatsanwaltschaft begleitet. Diese Kammern bestehen aus jeweils drei Europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, die die Arbeit vor Ort begleiten und steuern. Die zuständige Kammer trifft wichtige Entscheidungen, z.B. ob ein Betrugsfall zur Anzeige gebracht wird oder nicht. Ziel dieser Organisationsstruktur ist, dass die Europäische Staatsanwaltschaft stets den Überblick behält und grenzüberschreitende Ermittlungen möglichst reibungslos und zielgerichtet von statten gehen.
Hier ein Schaubild zur Veranschaulichung (leider auf Englisch):
Wofür ist die europäische Staatsanwaltschaft genau zuständig?
Die EU-Staatsanwaltschaft soll die finanziellen Interessen der EU schützen. Das heißt, der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt darauf, Betrugsfälle und andere Straftaten zu verfolgen, die den finanziellen Interessen der EU schaden. Das kann sowohl auf der Seite der Einnahmen für den EU-Haushalt als auch auf der Seite der Auszahlung von EU-Geldern geschehen. So wird die neue Institution beispielsweise die zweckgemäße Verwendung der insgesamt 750 Milliarden Euro aus dem “Next Generation EU” Fonds, dem Wiederaufbaufonds der EU, überwachen. Sie kommt also genau zur rechten Zeit, um sicherzustellen, dass die Gelder für den Wiederaufbau dort ankommen, wo sie hinsollen. Bestechung, Bestechlichkeit und Missbrauch von EU-Geldern sind relevante Straftaten bei Auszahlungen aus den Haushalt, die Kövesi und ihr Team verfolgen können. Der Bezug zum EU-Haushalt bedeutet auch, dass die neue Staatsanwaltschaft beispielsweise gegen illegalen Zigarettenhandel vorgehen kann, denn ein Teil der entgangenen Zolleinnahmen wären für den EU-Haushalt bestimmt gewesen. Das Mandat eröffnet also viele Anknüpfungspunkte.
Damit sich die EU-Staatsanwaltschaft auf die schwersten Betrugsfälle konzentrieren kann, muss ein Betrugsfall einen gewissen Umfang haben, um von ihr verfolgt werden zu können. So soll sie bei Umsatzsteuerbetrug nur dann tätig werden, wenn dieser mindestens 10 Millionen Euro umfasst und grenzüberschreitend in mindestens zwei Mitgliedstaaten stattfindet. Umsatzsteuerbetrug fällt in den Zuständigkeitsbereich der EU-Staatsanwaltschaft, weil die Höhe der Umsatzsteuereinnahmen die Beitragszahlungen zum EU-Haushalt beeinflusst. Wenn man bedenkt, dass europaweit Schätzungen zufolge jährlich 140 Milliarden Euro Umsatzsteuern nicht gezahlt werden, 22 Milliarden davon alleine in Deutschland, dann ist dieser Aufgabenbereich von großer Bedeutung. Gut, dass die EU-Staatsanwaltschaft hier tätig wird, nachdem die Große Koalition in Deutschland rechtliche Fortschritte gegen Umsatzsteuerbetrug in der EU seit Jahren blockiert. Ich freue mich besonders, dass auch Geldwäsche und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Zuständigkeitsbereich der neuen EU-Staatsanwaltschaft fällt, wenn auch nur begrenzt auf Betrugsfälle und Tätigkeitsschwerpunkte zu Lasten des EU-Haushalts. Nach einer erfolgreichen Startphase werde ich mich dafür einsetzen, dass das Mandat in diesem Bereich ausgeweitet wird, denn die überwältigende Mehrheit von kriminellen Organisationen agiert grenzüberschreitend und sind daher für nationale Strafverfolgungsbehörden nur sehr schwer zu fassen. Die EU-Staatsanwaltschafts sollte auch in großen grenzüberschreitenden Fällen von Geldwäsche und organisierter Kriminalität ermitteln dürfen, wenn kein oder nur ein schwacher Bezug zum EU-Haushalt besteht.
Damit die Europäische Staatsanwaltschaft von allen bekannten Betrugsfällen erfährt, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, besteht eine Meldepflicht für die zuständigen nationalen Behörden sowie für EU-Agenturen, Ämter, Einrichtungen und Organe. Das heißt, dass auch das Europäische Parlament als eines der sieben Organe der Europäischen Union strafbares Verhalten in seiner Kenntnis melden muss. Die EU-Staatsanwaltschaft kann aber auch von sich aus Informationen sammeln oder aus anderen Quellen – z.B. von Whistleblower*innen – Informationen erhalten. Auf der Webseite der neuen Staatsanwaltschaft werden Privatpersonen ausdrücklich dazu aufgerufen, Hinweise auf relevante Straftaten zu geben: https://www.eppo.europa.eu/
Die europäische Rechtsgemeinschaft gewinnt an Durchsetzungsfähigkeit
Ich habe den Entstehungsprozess der Europäischen Staatsanwaltschaft eng begleitet. Seit der Verordnung des Rates im Oktober 2017 haben sich weitere Länder diesem wichtigen Vorhaben angeschlossen. Weniger als vier Jahre später haben wir eine EU-Staatsanwaltschaft in Luxemburg mit mehr als 100 Angestellten und Europäischen Staatsanwältinnen und -anwälten aus 22 EU-Ländern sowie eine solide Rechtsgrundlage für die grenzübergreifenden Ermittlungen. Das ist ein riesiger Fortschritt für Europa und für die Glaubwürdigkeit der gesetzgeberischen Arbeit hier im Parlament. In Zukunft werde ich mich dafür einsetzen, dass das Mandat und die finanziellen Mittel der EU-Staatsanwaltschaft erweitert werden, denn es besteht noch viel Bedarf bei der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung in der EU.
Aktuelle Vorgänge zeigen umso deutlicher, wie wichtig diese unabhängige Europäische Staatsanwaltschaft ist: Slowenien und Finnland haben bislang keine Delegierten Europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ihren Ländern benannt. Die finnische Regierung möchte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Teilzeit benennen, was Generalstaatsanwältin Kövesi mit Verweis auf die nötige Unabhängigkeit der ernannten Personen ablehnt. Die slowenische Regierung hatte die offizielle Ernennung von zwei unabhängigen Personen monatelang blockiert, bevor sie vergangenen Donnerstag (27. Mai) die Aufstellung von neuen Kandidat*innen verlangte. Die slowenische Justizministerin trat aus Protest sofort zurück. Unwillige Länder können ihrer Arbeit zwar Steine in den Weg legen, aufhalten können sie sie nicht. Ich bin gespannt auf die Arbeit von EU-Generalstaatsanwältin Laura Kövesi und ihrem Team!