Fri. Nov 22nd, 2024

Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, auf der Tagung „Ein Jahr Nationale Sicherheitsstrategie“ am 1. Juli 2024 in Berlin:

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    “Ein Hackerangriff auf IT-Systeme von 100 Kommunen in Nordrhein-Westfalen – Bürgerbüros, Sozialämter offline, auch Krankenhäuser sind betroffen. Das war am 30.Oktober 2023.

    Ein Drohneneinschlag am größten Atomkraftwerk Europas, in Saporischschja. Drei Flugstunden von Berlin entfernt. Am 7. April 2024.

    700.000 Liter heizölverseuchtes Wasser, die allein im Raum Augsburg aus 140 Kellern gepumpt werden. Tausende Menschen zeitgleich evakuiert. Früher nannte man das Jahrhunderthochwasser. Heute bedroht es uns alle paar Jahre. Wir haben die Bilder noch genau vor Augen, im Juni, vor ein paar Wochen.

    Das sind keine Szenen aus einem Katastrophenfilm. Das sind drei Nachrichten aus den letzten Monaten. Schlaglichter, die uns zeigen: Unser Land ist verletzlich. Unser Leben ist unsicherer geworden. Schlaglichter, die zeigen: Sicherheit ist die Aufgabe unserer Zeit.

    Als wir vor zwei Jahren angefangen haben, die Nationale Sicherheitsstrategie zu entwerfen, da waren es diese Erkenntnisse, die unsere Arbeit bestimmt haben. Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine war da gerade wenige Wochen alt. Der Beginn einer neuen Zeitrechnung in Europa. Ein Weckruf, aber längst nicht die einzige Gefahr für unsere Sicherheit.

    Auch Bedrohungen, die zunächst weniger sichtbar scheinen, schlagen heute umso härter zu. Wie die Folgen der Klimakrise, die sich in den Hochwassern dieses Jahr erneut so brutal gezeigt haben. Oder eben die verheerenden Auswirkungen von Cyberangriffen, die aus meiner Sicht gerade noch nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Sie richten sich gegen Unternehmen, auch Krankenhäuser, politische Parteien. Oft werden sie als singuläres Event abgetan. Aber auch sie sind Kern unserer Nationalen Sicherheitsstrategie.

    Auf all diese Sicherheitsherausforderungen gemeinsam reagieren zu können, gemeinsam übergreifend und integriert zu antworten, das ist die Quintessenz der Nationalen Sicherheitsstrategie, die wir vor einem Jahr offiziell verabschiedet haben und über die wir heute sprechen wollen. In diesem Sinne sind wir hier auf einer Arbeitskonferenz – mit unterschiedlichen Panels. Denn es geht nicht darum, die Strategien noch mal neu zu erfinden, sondern uns zu fragen: Wie weit sind wir in diesem letzten Jahr gekommen?

    Es geht in der Strategie – und das war für unser Land etwas Besonderes – nicht nur um unsere Wehrhaftigkeit, auch wenn sie in diesen Zeiten ein wichtiger Bestandteil für unsere Nationale Sicherheit ist, sondern um das Zusammendenken von Wehrhaftigkeit und der Frage, wie wir unsere Gesellschaft resilienter, also widerstandsfähiger machen können. In Momenten, in denen wir zeitgleich alles dafür tun müssen, unsere Lebensgrundlagen zu schützen.

    Das ist der Kern von integrierter Sicherheit. Und natürlich wäre jetzt gerade – auch für die vielen Journalistinnen und Journalisten im Raum, die ich ebenso herzlich begrüßen möchte – dann die plakative Frage: Und um wie viel Prozent ist Deutschland denn sicherer geworden in diesen letzten Jahren? Zehn, Zwanzig oder Dreißig Prozent? Aber für uns alle ist klar, dass es hier nicht um plakative Überschriften geht, sondern um strukturelle Resilienz, die sich oftmals nicht in Zahlen bemessen lässt, weil man nicht weiß, wo die nächste Cyberattacke stattfindet.

    Um es überspitzt zu sagen: Eine Strategie ist kein Allheilmittel, das für jede Situation die passende Lösung vorschreibt. Sondern Ziel und Zweck von Strategien ist es, Prioritäten zu setzen, Ziele und Prinzipien festzulegen. Und die Zusammenarbeit nicht nur zwischen Ressorts zu stärken, sondern auch zwischen Bund und der europäischen Ebene, der Nato, mit Ländern, Kommunen und der Gesellschaft, um Sicherheit herzustellen – also integriert handeln zu können, wenn unsere Sicherheit herausgefordert ist.

    In dem Sinne, um vielleicht ein bisschen flapsig zu sagen: Ein GPS-System, ein Navigationssystem, das uns sagt, auf welchem Weg wir sicher in die Zukunft gelangen können, das aber natürlich auch nicht jede rote Ampel oder den Hund, der plötzlich über die Straße läuft, vorhersehen kann, sondern zeigt, in der Situation die niemand vorhersehen kann: Wie können die entscheidenden Akteure sicher zusammenarbeiten?

    Wissend, dass eine Strategie, ein Papier allein unser Land nicht sicherer macht, sondern dass wir vor allen Dingen einen Bewusstseinswandel brauchen. Das Vertrauen, dass wir unsere Sicherheit selbst in die Hand nehmen müssen und dass wir das auch auch können.

    Das Vertrauen darin, dass wir zusammen gerade auch in unserem föderalen System, das uns manchmal herausfordert, dass wir zusammen stärker sind. Dieser Zusammenhalt liegt in der Verantwortung unserer gesamten Gesellschaft, von jedem Einzelnen und jeder Einzelnen.

    Aufgabe von Politik – und daher bin ich dankbar, dass so viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Parlament heute hier sind – ist es, für diesen Zusammenhalt nicht nur zu sorgen, sondern in diesen Zusammenhalt zu investieren.

    Auch deswegen sind in unserer Sicherheitsstrategie nicht nur Fragen wie die wehrhafte Demokratie enthalten, sondern auch die Stärkung von öffentlichen Institutionen, Gerichten oder der Polizei. Aber auch der Sozialstaat spielt eine Rolle, weil wir wissen, dass der soziale Kitt Gesellschaften und Demokratien zusammenhält. Deswegen haben wir diese Sicherheitsstrategie gemeinsam mit Ihnen und euch gestaltet – mit dem Bundestag, den Bundesländern, den Kommunen, allen Ressorts, aber auch mit vielen Bürgerdialogen.

    Ich wurde letztes Jahr gefragt: Warum fahren wir jetzt für eine Nationale Sicherheitsstrategie durchs Land? – Weil diese nationale Sicherheitsstrategie für die Menschen da ist und die Menschen davon wissen sollen. Nicht nur die Menschen in Ihren Kommunen, sondern gerade auch Unternehmen und Hochschulen. Und es freut mich, dass meine lettische Kollegin heute da ist, denn das betrifft auch unsere europäischen Partnerinnen und Partner. Wenn wir jetzt also schauen, wie weit sind wir bisher gekommen, dann ist sicherlich das Sichtbarste und Größte die Stärkung unserer internationalen Zusammenarbeit mit Blick auf unsere europäische Wehrhaftigkeit.

    Und damit würde ich gerne den Auftakt für unsere heutige Diskussion machen, indem ich einzelne Bereiche durchgehe, bevor wir dann in den Panels intensiver diskutieren. Das stärkste Sicherheitszeichen, das wir gemeinsam gesetzt haben, ist, dass letztes Jahr Finnland der Nato beigetreten ist – und dieses Jahr zum Glück dann endlich auch Schweden.

    Allein mit dem Beitritt Finnlands wird die Nato 60 hochmoderne F 35 Kampfjets dazubekommen. 19.000 Soldatinnen und Soldaten, 238.000 Reservisten. Alles Akteure, die ohnehin schon in den Nato-Systemen durch starke Zusammenarbeit integriert waren. Aber das Wichtige ist nicht nur, dass wir die Fähigkeiten mit diesem Beitritt stärken, sondern das Wichtige an diesen Beitritten ist, dass Putins Kalkulation, die auch Teil dieses Angriffskrieges ist, nämlich die Nato zu spalten und im Zweifel zu zerschlagen, dass diese Kalkulation nicht aufgegangen ist. Im Gegenteil. Putin wollte die Nato schwächen und hat sie stattdessen gestärkt. Die Nato ist stärker als je zuvor – wenngleich sie natürlich auch stärker als je zuvor herausgefordert ist.

    Der zweite wichtige Punkt, der auch sichtbar ist, weil er in Zahlen messbar ist, ist, dass nicht nur der europäische Pfeiler innerhalb der Nato in den letzten zwei Jahren – und insbesondere im letzten Jahr – gestärkt worden ist. Auch das werden wir bei dem Gipfel in Washington deutlich machen als Europäerinnen und Europäer, sondern auch unsere Verantwortung als stärkstes Land innerhalb der Europäischen Union.

    Deutschland investiert jetzt bekanntermaßen über zwei Prozent in seine eigene Wehrhaftigkeit und Verteidigung. Wir haben zudem das European Sky Shield, die Initiative auf den Weg gebracht und wir verlegen eine Brigade nach Litauen.

    Auch das sind Punkte, die hätte man hier vor drei Jahren sicherlich sehr, sehr anders diskutiert, beziehungsweise, man hätte gesagt: Wovon redet diese Frau eigentlich? Aber vollkommen klar ist, dass wir uns jetzt, im Jahr 2024, definitiv nicht ausruhen können. Deswegen ist dieses eine Jahr alles andere als eine Bilanz. Es ist ein kleiner Zwischenschritt und ein Arbeitsauftrag. Deswegen bin ich dankbar, dass wir hier gleich auch den Blick aus Lettland bekommen: Wir waren zusammen gerade vor zwei Wochen beim Ostseerat. Wir sehen, dass Putins Ziel ist, die Sicherheit Europas weiter herauszufordern.

    Putins Russland wird auf absehbare Zeit die größte Gefahr für unsere Sicherheit in Europa bleiben. Und deswegen können unsere Sicherheitsmaßnahmen nur ein erster Schritt sein. Ideologisch ist Putins Russland auf dem Weg in den Totalitarismus. Wladimir Putins Imperialismus hört – wie er immer wieder in Reden zeigt – nicht bei der Ukraine auf. Wenn man sich die Zahlen anschaut: Russland richtet seine Streitkräfte auf einen großen Krieg aus, mit Plänen für eine jahrelange Kriegswirtschaft. Rein ökonomisch kann er nicht einfach sagen: Morgen endet dieser Krieg. Das müssen wir immer wieder vor Augen haben.

    Aber natürlich irritieren dann gerade unsere osteuropäischen Nachbarn immer wieder die Debatten in unserem Land, wenn es heißt: Na ja, wir wollen in diesen Krieg nicht hineingezogen werden. Erstens: Wer will das schon? Niemand will das. Jeder möchte in Frieden leben.

    Und zweitens, und das höre ich immer von meinen osteuropäischen Partnern und Freunden – die sagen uns: „Das ist so eine kleine Luxusdebatte bei euch. Bei uns stellt sich nicht die Frage, ob wir da hineingezogen werden wollen, sondern Putin ist direkt vor unserer Haustür.“

    In Ländern, die entweder direkt an Russland grenzen oder an Belarus oder an die Ukraine, wo wir immer wieder erleben, dass es in den letzten Wochen, aber auch Monaten ganz gezielte Nadelstiche gegeben hat. Auf die Nato, auf die Außengrenze der Europäischen Union – seien es Wasserbojen, seien es bestimmte GPS-Systeme, sodass Finnair zum Beispiel dann in baltischen Staaten nicht landen konnte.

    Daher ist für uns so zentral und wichtig, was wir in der Nationalen Sicherheitsstrategie deutlich gemacht haben: Wir richten unsere eigene Politik genau auf diese Realität aus, die wir uns nicht gewünscht, die wir uns auch nicht ausgewählt haben, aber die nun mal unsere Welt ist. Wir werden unser Europa, jeden Quadratzentimeter unseres Europas und unserer Freiheit verteidigen.

    Und wir richten alles darauf auf, dass unsere Abschreckung so klar und deutlich ist, dass dieser Tag nicht kommen muss. Dabei ist nicht nur zentral die Stärkung und Abschreckung durch unsere Nato-Fähigkeiten, sondern natürlich auch der Blick auf die Bundesrepublik Deutschland selbst als einen sehr starken großen Akteur: Bekanntermaßen haben wir dafür das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Deutsche Bundeswehr auf den Weg gebracht. Die zwei Prozent die ich bereits angesprochen habe, aber auch die strukturellen Fragen, die eben nicht per Fingerschnips in einem Land zu machen sind, wie die Vorschläge, die Verteidigungsminister Boris Pistorius gerade auf den Weg gebracht hat, zur Neustrukturierung oder Umstrukturierung des Wehrdienstes. Nicht, weil wir uns das alle so gewünscht haben, sondern weil es die Aufgabe unserer Zeit ist, wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen.

    Wir wissen aber auch, dass wir die großen Fragen unserer Zeit nur beantworten können, wenn wir unsere Verteidigungsfähigkeit und unsere Abschreckung mit unseren starken Partnern im Bündnis definieren – innerhalb der Nato, aber gerade auch innerhalb der Europäischen Union. Auch das sind die wichtigen Elemente, die wir weiter diskutieren werden. Und auch hier in einem integrierten Sicherheitsansatz. Wo wir an diesen Tagungsort etliche Männer und Frauen in Uniform sehen: Ich glaube, gerade Sie wissen es am besten, weil sie jeden Tag spüren, dass diese Investitionen eigentlich lange überfällig waren, um unsere Wehrhaftigkeit so zu gestalten, wie es nötig ist.

    Aber: Wir wissen alle, dass Sicherheit mehr ist als Militär, mehr ist als die Abwesenheit von Krieg. Sicherheit bedeutet auch, dass die Lieferketten unserer Unternehmen stabil sind. Sicherheit bedeutet auch, dass Bürgerinnen und Bürger sauberes Wasser in ihrer Wohnung haben und unsere Krankenhäuser zuverlässigen Strom. Sicherheit bedeutet auch, dass wir wählen gehen können, ohne dass Desinformationen in den Tagen davor jegliche Debatten um damit auch Wahlergebnisse verzerren. An all diesen Stellen sind wir als Gesellschaft verwundbar. Daher heißt integrierte Sicherheit unter anderem, dass wir das Beispiel Desinformation ernst nehmen.

    Ende letzten Jahres hat eine Analyseeinheit des Auswärtigen Amtes eine Kampagne des sogenannten Doppelgänger-Netzwerks in den sozialen Medien aufgedeckt. 50.000 Fake-Accounts, die nicht immer gleich als Fake-Accounts erkennbar sind. 50.000 Fake-Accounts, die innerhalb von vier Wochen über eine Million Nachrichten mit Lügen und pro-russischen Botschaften gegen die Bundesregierung abgesetzt hat. Auch mit Künstlicher Intelligenz, so gesteuert, dass es immer leicht unterschiedlich aussah – aber die Essenz, die Kernlüge der Nachrichten war immer dieselbe.

    Heute trifft es die Bundesregierung, morgen trifft es die Nato und übermorgen zivilgesellschaftliche Akteure. Das Ziel solcher Kampagnen ist immer dasselbe: Mit Desinformationen gezielt die Grundpfeiler unserer Demokratie ins Visier zu nehmen. Durch Verunsicherung, durch Einflussnahme. Um das früher zu erkennen und zu bekämpfen, hat die Bundesregierung eine Einheit zur Früherkennung ausländischer Desinformationen eingerichtet, aufgehängt im Bundesministerium des Innern und für Heimat, mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Ressorts und in enger Abstimmung mit europäischen Partnern, die zum Teil schon früher solche Einrichtungen etabliert haben. Weil es eben nicht reicht, solche Attacken isoliert zu betrachten, sondern man sehen muss, wenn das parallel in unterschiedlichen Bundesländern oder auch parallel in unterschiedlichen Ländern der Europäischen Union passiert: Dass das kein Zufall ist, auch jetzt vor der Europawahl, wenn es verstärkt Frankreich und auch Deutschland trifft, sondern dass dahinter Strategien und Netzwerke stecken, die zum Teil jahrelang auf solche Tage hinarbeiten. Weil wir mittlerweile wissen, dass Autokraten von außen und Extremisten im Inneren Hand in Hand arbeiten – genau dagegen müssen wir uns, müssen wir unsere Demokratie schützen.

    Dass wir unsere Widerstandsfähigkeit stärken müssen, gilt auch für unsere Wirtschaft. Auch das haben wir in unserer Nationalen Sicherheitsstrategie angelegt. Zu lange haben wir bei Russland darauf vertraut, dass wirtschaftliche Beziehungen am Ende beide Seiten kooperativer machen und kooperativ genutzt werden. Wir wissen heute, dass Handel nicht automatisch Wandel erzeugt und dass das Prinzip Hoffnung keine Sicherheitsstrategie ist, sondern manchmal ein Sicherheitsrisiko.

    Fehler zweimal zu machen, das ist unverantwortlich. Stattdessen brauchen wir eine Politik, die sich bei Risiken nicht blind stellt, die die richtigen Rahmenbedingungen setzt und die uns unabhängiger macht. Stichwort Diversifizierung, die auch in unser Chinastrategie verankert ist. Mit Handelsabkommen, Rohstoffpartnerschaften und – bei Wettbewerbsverzerrungen – zur Not auch mit wirtschaftlichen Maßnahmen im Sinne der Welthandelsorganisation, wie Zölle.

    Aber genauso brauchen wir Unternehmen, die verantwortungsvolle Entscheidungen treffen, die Risiken minimieren, statt die Kosten dafür auf die Politik auszusourcen, wenn es richtig schwierig wird. Auch das ist ein Teil unserer Sicherheitsstrategie, dass wir für wirtschaftliche Sicherheit viel stärker zwischen Politik und Wirtschaft zusammenarbeiten müssen. Denn je diverser unsere Lieferketten sind, desto sicherer ist unser Land.

    Auch hier gilt, dass es dafür kein Patentrezept, keinen Automatismus gibt, sondern wir müssen uns immer wieder für einzelne Sektoren, für einzelne Branchen anschauen: Was ist die richtige Balance im Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Staat? Das merken wir jetzt zum Beispiel gerade beim Prüfverfahren von chinesischen Komponenten im 5G- Netz. Das sind keine einfachen Diskussionen, weil wir natürlich auf der einen Seite ein Interesse haben, dass unsere Mobilfunknetze schnell, kostengünstig und flächendeckend ausgebaut werden.

    Und wenn wir da jetzt agieren, dann müssen wir zeitgleich immer die Frage beantworten: Wie schaffen wir es, dass der Ausbau in dieser Situation nicht verlangsamt wird? Auf der anderen Seite ist klar, dass wir es uns nicht leisten können, dass in entscheidenden Bereichen unserer Infrastruktur diese Infrastruktur als Einfallstor für Staaten missbraucht wird, denen wir nicht voll vertrauen können.

    In einer volldigitalisierten Welt wird kein Auto, kein LKW, kein Job in Zukunft ohne Mobilnetz funktionieren. Deswegen müssen wir den digitalen Raum als das zentrale Nervensystem unserer Gesellschaft schützen. Auf dieses Ziel haben wir uns mit der Nationalen Sicherheitsstrategie geeinigt.

    Mit entsprechenden Prüfverfahren für 5G, aber vor allen Dingen auch mit einem viel besseren Austausch und einer besseren Zusammenarbeit bei Cyberangriffen. Deswegen bauen wir das BSI zur Bund-Länder-Zentralstelle aus. Auch weil wir wissen, dass eines der größten Einfallstore nach wie vor der Mensch und der menschliche Fehler ist. Und dass wir deswegen zusammenarbeiten müssen, auch mit Universitäten, bei Forschungsprojekten. Zu fragen: Was hat das eigentlich mit Sicherheit zu tun? Oder mit Kommunen vor Ort, bei lokalen Investitionsentscheidungen – um ein Bewusstsein zu haben, dass es am Ende auch eine Sicherheitsfrage für unser Land sein kann.

    Die Nationale Sicherheitsstrategie soll uns helfen, Prioritäten in den Blick zu nehmen, die über den engen Blick des täglichen Krisenmanagements hinausgehen. Aber wenn die Krise dann eintritt, auch Mechanismen zu haben, die funktionieren.

    Denn auch das haben wir in den letzten Jahren gelernt, dass in großen Krisen immer wieder zentral ist – und zwar nicht nur in großen Krisen, die die harte Sicherheit im Sinne von Krieg und Frieden betreffen, sondern gerade auch Naturkatastrophen –, wenn man Dinge vorher nicht geübt hat oder Systeme komplett veraltet sind oder Alarmrufe abgeschaltet wurden, dass das in der Krise Menschenleben kosten kann. Naturkatastrophen vertreiben schon jetzt weltweit Millionen von Menschen aus ihrem Zuhause. Weltweit sehen wir, dass die Klimakrise Konflikte und Hungersnöte verschärft.

    Wir können es uns nicht mehr leisten, zu sagen, das wussten wir alles nicht vorher. Und leider mussten das auch viele Menschen in unserem Land in den letzten Jahren selbst erleben. Deswegen ist die Klimaaußenpolitik-Strategie der Bundesregierung auch Teil der Nationalen Sicherheitsstrategie. Ein Bereich, in dem wir noch stärker zusammenarbeiten, wie bei den Klimaverhandlungen, bei denen wir letztes Jahr in Dubai eine Abkehr von fossilen Energien beschlossen haben und dass Investitionen in saubere Energien gelenkt werden.

    Aber wir haben dort auch deutlich gemacht, dass wir bei den Klimaauswirkungen, bei Anpassung, bei „Loss and Damage“, bei Katastrophenvorsorge noch viel enger zusammenarbeiten müssen. Wir wissen, wir leben jetzt schon 1,1- oder 1,2-Grad Welt. Jedes weitere Zehntelgrad an Erderwärmung wird uns unsicherer oder, wenn wir es nicht dazu kommen lassen, sicherer machen.

    Das alles sind keine einfachen Fragen. Gerade dann, wenn es an die Umsetzung geht: Was bedeutet das eigentlich im Heizungskeller oder beim Ausbau von Netzen? Dann diskutiert die ganze Gesellschaft mit. Auch deswegen ist es für uns als Auswärtiges Amt und alle Ressorts so wichtig, dass wir das als eine gesamtgesellschaftliche Debatte und Strategie für die nächsten Jahre sehen, damit wir eben nicht in alte Muster zurückfallen.

    Und hier möchte ich jetzt einmal sehr deutlich werden. Denn immer, wenn es schwierig wird, tendiert man ja als Mensch dazu, doch seinen alten Reflexen zu folgen. Ich bin etwas irritiert darüber, wenn es jetzt plötzlich wieder heißt: „Na ja, so abhängig waren wir eigentlich gar nicht vom russischen Gas. So schlimm war das nicht.“ Als wäre der Winter, vor dem wir uns alle gefragt haben: Wird es eigentlich möglich sein, dass wir gut durch den Winter kommen? – als wäre dieser Winter 20 Jahre her und nicht gerade einmal ein gutes Jahr.

    Oder, wenn wir jetzt Diskussionen sehen, bei denen die Unterstützung für die Ukraine wie eine Charitygeste behandelt wird und nicht als das, was sie eigentlich ist: Ein Investment in unsere eigene nationale Sicherheit. Ein Investment in die Verteidigung unseres Friedens und unserer Freiheit. Ein größeres nationales Interesse kann es doch gar nicht geben.

    Und wenn bei vielen Äußerungen mitschwingt: „Sicherheit gerne, aber sie darf bitteschön nichts kosten.“ Auch das klingt wie eine Debatte von einem anderen Planeten. Denn es wäre doch fatal, wenn wir in ein paar Jahren sagen müssten: „Wir haben jetzt die Schuldenbremse gerettet, aber dafür unsere europäische Friedensordnung verloren.“

    Das wird die Frage sein, die uns unsere Kinder in ein paar Jahren stellen werden. Und ich verstehe vollkommen, auch ich bin viel im Land unterwegs, dass viele Menschen sich nach einer Zeit zurücksehnen, wo sie sagen: „Da war irgendwie alles einfacher.“

    Wenn man genau hinschaut, bezweifele ich, dass das immer so war, aber das Gefühl ist immer stärker.

    Die Aufgabe von Entscheidungsträgern, insbesondere in Politik und Wirtschaft ist es, sich in diesen Momenten, nicht wegzuducken, sondern deutlich machen zu machen, dass Sicherheit nichts Selbstverständliches ist, sondern dass wir in unsere Sicherheit investieren müssen. Dass die Krisen nicht weit weg sind, sondern direkt vor unserer eigenen Haustür.

    In diesem Sinne wird es für die nächsten Wochen – und das sehen wir ja auch für Europa in den nächsten Jahren – zentral sein –, dass wir über den Tag hinaus und nicht nur in Quartalszahlen oder in Legislaturperioden denken, sondern dass die Strategie deutlich macht, dass unser freies Europa, in dem wir all die Jahre gelebt haben, auch in Zukunft für unsere Kinder eine Selbstverständlichkeit ist. Und das Gute ist: Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren seit dem brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine deutlich gemacht, als Europäerinnen und Europäer: Man sollte uns nicht unterschätzen.

    In den Momenten, in denen es die europäischen Gesellschaften, die europäische Demokratie brauchte, waren wir da und haben vermeintliche Differenzen oder auch offensichtliche Differenzen überbrücken können. Denn in dem Moment, in dem jeder sich gefragt hat: In welchem Europa sollen meine Kinder eigentlich leben? – da war die Antwort natürlich immer die gleiche: In einem freien Europa, in einem Europa, das seine eigene Demokratie nicht nur hochhält, sondern weiterleben kann.

    Wir sind ein starkes Land, als Bundesrepublik Deutschland, mitten im Herzen Europas. Wir haben mit der Europäischen Union einen der größten Binnenmärkte auf dieser Welt. Wir haben weltweit unglaublich viele Freunde und wir haben 83 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die wissen: Wenn wir zusammenhalten, als starke Demokratie, dann werden wir auch in Zukunft in Freiheit und in Frieden leben.

    Quelle – Bundesregierung

     

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