Wed. Sep 18th, 2024
justice, straight, jurisdiction
Justice for Ukraine. Photo by AJEL on Pixabay

Luxembourg, 18 June 2024

(German version below)

Judgment of the Court in Case C-753/22 | Bundesrepublik Deutschland (Effect of a decision granting refugee status)

Refugee status: a Member State is not required automatically to recognise refugee status granted in another Member State

Where a Member State cannot reject as inadmissible an application for international protection of an applicant to whom another Member State has already granted such protection, on account of a serious risk to that applicant of being subjected, in the other Member State, to inhuman or degrading treatment, it must carry out a new individual examination. It must nevertheless take full account of the decision of the other Member State and of the elements on which that decision is based.

A Syrian national who obtained refugee status in Greece subsequently applied for international protection in Germany. A German court held that, because of the living conditions of refugees in Greece, she faced a serious risk of being subjected to inhuman or degrading treatment, with the result that she could not return to Greece. The competent German authority rejected her application for refugee status but granted her subsidiary protection. She then brought an action against the refusal to grant refugee status before the German courts.

The German Federal Administrative Court asks the Court of Justice whether, in such a situation, a competent authority is required to grant the applicant refugee status solely on the ground that her or she has already been granted refugee status by the other Member State or whether it may carry out a new, independent examination of the substance of that application.

In its judgment, the Court finds that, at EU law currently stands, Member States are not required to recognise automatically decisions granting refugee status adopted by another Member State. However, Member States are free to do so. Germany did not exercise that option.

In those circumstances, where the competent authority cannot reject as inadmissible an application for international protection of an applicant to whom another Member State has already granted such protection, on account of a serious risk to that applicant of being subjected, in that other Member State, to inhuman or degrading treatment, it must carry out a new, individual, full and up-to-date examination of the qualification for refugee status.

In the context of that examination, that authority must nevertheless take full account of the decision of that other Member State to grant international protection to that applicant and of the elements on which that decision is based. To that end, it must, as soon as possible, initiate an exchange of information with the authority that adopted that decision.

If the applicant qualifies as a refugee, the authority must grant him or her refugee status, and it does not have any discretion.

NOTE: A reference for a preliminary ruling allows the courts and tribunals of the Member States, in disputes which have been brought before them, to refer questions to the Court of Justice about the interpretation of EU law or the validity of an EU act. The Court of Justice does not decide the dispute itself. It is for the national court or tribunal to dispose of the case in accordance with the Court’s decision, which is similarly binding on other national courts or tribunals before which a similar issue is raised.

Unofficial document for media use, not binding on the Court of Justice. The full text and, as the case may be, an abstract of the judgment is published on the CURIA website on the day of delivery.

Source – EU Court of Justice: 102/2024 : 18 June 2024 – Judgment of the Court of Justice in Case C-753/22

 


Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-753/22 | Bundesrepublik Deutschland (Wirkung einer Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft)

Anerkennung als Flüchtling: Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, die in einem anderen Mitgliedstaat zuerkannte Flüchtlingseigenschaft automatisch anzuerkennen

Kann ein Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz nicht als unzulässig ablehnen, weil der Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat, der ihm bereits einen solchen Schutz zuerkannt hat, der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, muss er eine neue individuelle Prüfung vornehmen. Dabei muss er allerdings die Entscheidung des anderen Mitgliedstaats und die Anhaltspunkte, auf denen diese Entscheidung beruht, in vollem Umfang berücksichtigen.

Eine syrische Staatsangehörige, der in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war, beantragte anschließend in Deutschland internationalen Schutz.

Ein deutsches Gericht entschied, dass ihr aufgrund der Lebensumstände von Flüchtlingen in Griechenland die ernsthafte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung drohen würde, so dass sie nicht dorthin zurückkehren könne.

Die zuständige deutsche Behörde lehnte ihren Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab, gewährte ihr aber subsidiären Schutz. Die Betroffene erhob daraufhin bei den deutschen Gerichten eine Klage gegen die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Das deutsche Bundesverwaltungsgericht fragt den Gerichtshof, ob die zuständige Behörde in einem solchen Fall verpflichtet ist, dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft allein deshalb zuzuerkennen, weil ihm diese Eigenschaft bereits von dem anderen Mitgliedstaat zuerkannt worden ist, oder ob sie eine neue eigenständige Prüfung dieses Antrags in der Sache vornehmen darf.

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht verpflichtet sind, die von einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft automatisch anzuerkennen, dass es ihnen allerdings freisteht, dies zu tun. Deutschland hat von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht.

Unter diesen Umständen muss die zuständige Behörde, wenn sie einen Antrag auf internationalen Schutz nicht als unzulässig ablehnen darf, weil der Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat, der ihm bereits einen solchen Schutz zuerkannt hat, der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, eine neue individuelle, vollständige und aktualisierte Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vornehmen.

Im Rahmen dieser Prüfung muss diese Behörde jedoch die Entscheidung des anderen Mitgliedstaats, diesem Antragsteller internationalen Schutz zu gewähren, und die Anhaltspunkte, auf denen diese Entscheidung beruht, in vollem Umfang berücksichtigen. Zu diesem Zweck muss sie unverzüglich einen Informationsaustausch mit der Behörde einleiten, die diese Entscheidung erlassen hat.

Erfüllt der Antragsteller die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling, muss die Behörde ihm diese Eigenschaft zuerkennen, ohne hierbei über ein Ermessen zu verfügen.

HINWEIS: Mit einem Vorabentscheidungsersuchen haben die Gerichte der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, dem Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsstreits, über den sie zu entscheiden haben, Fragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts oder die Gültigkeit einer Handlung der Union vorzulegen. Der Gerichtshof entscheidet dabei nicht den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Dieser ist unter Zugrundelegung der Entscheidung des Gerichtshofs vom nationalen Gericht zu entscheiden. Die Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, wenn diese über vergleichbare Fragen zu befinden haben.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nicht amtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Der Volltext und gegebenenfalls die Zusammenfassung des Urteils werden am Tag der Verkündung auf der Curia- Website veröffentlicht.

Quelle – EU-Gerichtshof: 102/2024 : 18. Juni 2024 – Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-753/22

 

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