Berlin, 18 March 2025
Abstract – Speech by German Defence Minister Boris Pistorius
In his address to the German Bundestag, Defence Minister Boris Pistorius underscored the historic significance of the decisions facing Germany, particularly regarding national security and future resilience. He described the country’s deteriorating infrastructure and emphasized the urgent need for substantial investment, not only in civil sectors but especially in defense, in light of the growing security challenges posed by Russia’s aggression against Ukraine.
Pistorius stressed that Europe must assume greater responsibility for its own defense and security, acting more decisively and united than in past decades. While reaffirming Germany’s commitment to its transatlantic alliance with the United States, he argued that Europe must strengthen its own defense capabilities to complement NATO and prepare for a possible shift in U.S. global focus.
The minister presented a three-pronged financial package:
- A €500 billion special fund for infrastructure and climate protection, empowering regional and local governments to invest.
- Decoupling defense spending from Germany’s constitutional debt brake to enable flexible, reliable funding without jeopardizing other investments.
- A new law to accelerate defense procurement and improve efficiency.
Pistorius made clear that growing the defense budget is not a blank check—parliamentary oversight and efficiency remain paramount. He highlighted the need for stronger capabilities in air defense, artillery, logistics, cyber, space, and naval forces, alongside increased personnel.
Finally, Pistorius appealed to the Bundestag to seize this moment of historic responsibility. The proposed measures, he argued, are essential to securing Germany’s and Europe’s future prosperity and security for generations to come.
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Boris Pistorius zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115 und 143h) vor dem Deutschen Bundestag am 18. März 2025 in Berlin
PDF herunterladen, PDF, 84 KB, barrierefrei
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!
Wir stehen vor Entscheidungen von historischer Bedeutung. Sicherheit und Zukunft unseres Landes hängen davon ab. Jeder weiß es: Deutschland fährt auf Verschleiß. Unsere Infrastruktur ist in die Jahre gekommen – von der Energieversorgung über die Straßen und Schienenwege bis hin zu Krankenhäusern und Schulen. Wir brauchen dringend Investitionen.
Gleichzeitig stehen wir vor einer der größten, wenn nicht der größten sicherheitspolitischen Herausforderung in der Geschichte unseres Landes – eine Herausforderung, die wir allein nicht werden meistern können. Wir brauchen ein starkes Europa, das in der Lage ist, unseren Wohlstand, unsere Freiheit und unsere Sicherheit zu verteidigen: für uns, aber vor allem auch für die kommenden Generationen.
Wir Europäer müssen erwachsen werden. Wir müssen Verantwortung übernehmen. Wir brauchen ein neues, ein gemeinsames sicherheitspolitisches Bekenntnis. Es geht um das Tragen von Verantwortung: für unsere eigene Verteidigung, für die Menschen auf unserem Kontinent und für unser Bündnis. Eine Verantwortung, die wir genau jetzt, hier und heute, übernehmen müssen. Die heutige Abstimmung duldet deshalb auch keinen Aufschub.
Die Entscheidung wird mit den Mehrheiten des alten Bundestags getroffen, bevor sich der neue konstituiert. Und ja, das stößt auf Kritik. Aber wer heute zaudert, wer sich heute nicht traut, wer meint, wir könnten uns diese Debatte noch über Monate leisten, der verleugnet die Realität. Sie und ich wissen: Wir dürfen keine Zeit verlieren. Deswegen, lieber Herr Dürr: Wir verkaufen nicht die Zukunft, wie Sie in Ihrem religiösen Eifer für die Schuldenbremse glauben machen wollen. Wir sichern die Zukunft für dieses Land.
Russland stellt mit Abstand die größte Bedrohung für die europäische Sicherheit dar. Putin geht auch nach den Angeboten für Waffenstillstandsverhandlungen und anderem mit unverminderter Härte gegen die Ukraine und ihre Zivilbevölkerung vor. Auch seine öffentliche Reaktion auf die Verhandlungen in Dschidda macht deutlich, dass er keinen Frieden will – jedenfalls keinen, der nicht unter seinen Bedingungen stattfindet. Auch wenn derzeit über eine Waffenruhe diskutiert wird, bleiben der Ausgang dieses Krieges und die langfristige Sicherheit der Ukraine ungewiss. Deswegen wird es letztlich auf uns ankommen, auf uns Europäerinnen und Europäer. Wir müssen für unsere eigene Sicherheit und die unseres Kontinents sorgen, und zwar deutlich mehr, deutlich besser und deutlich geeinter als in den vergangenen Jahrzehnten.
Aber das bedeutet eines gleichzeitig nicht – und das sage ich ganz unmissverständlich –: Unsere Verbindung mit den USA, mit unseren langjährigen amerikanischen Alliierten, werden wir nicht infrage stellen. Wir wollen und wir brauchen das enge transatlantische Bündnis und die Partnerschaft. Was wir heute entscheiden, wird diese Partnerschaft langfristig stärken, weil sie unser Bündnis damit noch stärker macht und auf zwei Beine stellt, nämlich Nordamerika und Europa.
Ich habe mich vor diesem Hintergrund vor wenigen Tagen erneut mit meinen vier Amtskollegen aus Frankreich, Großbritannien, Polen und Italien, also der Group of Five, die ich am Tag nach Trumps Wiederwahl ins Leben gerufen habe, in Paris getroffen. Wir haben besprochen, wie wir die Ukraine langfristig unterstützen, auch über das Ende eines Krieges hinaus, und wie wir unsere eigene Verteidigungsfähigkeit sichern können. Gleichzeitig wollen wir unsere eigene Verteidigung entschlossen und schnell vorantreiben, weil das das Gebot der Stunde ist. Und: Wir müssen und wir wollen dabei europäischer denken und handeln.
Die Nato wird im Juni ihre Fähigkeitsziele beschließen, um auf die veränderte Bedrohungslage zu reagieren. Und sie verändert sich. Sie hat sich verändert durch Putins Krieg gegen die Ukraine. Sie verändert sich durch eine Verlagerung des amerikanischen Engagements mehr in den Indopazifik. Unsere Verantwortung wird größer und damit auch die Last, die wir zu tragen haben als Europäerinnen und als Europäer. Wir Deutsche werden in Europa dabei eine zentrale Rolle übernehmen müssen. Das wird in allen europäischen Hauptstädten so gesehen. Das bedeutet: mehr Truppen, mehr Ausrüstung, schnellere Einsatzbereitschaft. Kurz gesagt: Der Finanzbedarf dafür wird massiv steigen.
Ich bin mir bewusst: Unser heutiger Vorschlag hat eine Tragweite, die weit hinausgeht über die bisherige Zeitenwende. Die Zeitenwende war der Wendepunkt hin zu einer neuen Epoche; denn vor der stehen wir jetzt. Wir stehen vor einer neuen Epoche für Europa, für Deutschland, für die Nato und für die kommenden Generationen. Heute geht es eben auch und vor allem um die Sicherheit unserer Kinder und Enkelkinder. Wir schlagen daher ein umfassendes Finanzierungspaket vor. Es stellt sicher, dass unsere Verteidigungsfähigkeit gestärkt wird, ohne unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden.
Es geht um drei Dringe:
Erstens. Wir schaffen ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Infrastruktur und den Klimaschutz. Länder und Kommunen dürfen Kredite aufnehmen für Investitionen; dazu hat Lars Klingbeil gerade alles Notwendige gesagt.
Zweitens. Wir entkoppeln den Verteidigungshaushalt von der Schuldenbremse. Damit schaffen wir mehr Flexibilität und mehr Planungssicherheit, die wir und auch die Rüstungsindustrie dringend brauchen. Unsere Sicherheit darf nicht durch haushaltspolitische Zwänge gefährdet werden. Wir müssen weg vom fiskalisch Machbaren hin zu verteidigungsbereiten Streitkräften, für das Hier und Jetzt und für morgen. Damit gilt zukünftig für unsere Sicherheitsvorsorge ein einfacher Satz: Bedrohungslage steht vor Kassenlage. Um zu verhindern, dass diese Mittel an anderer Stelle fehlen, sollen alle Ausgaben für die Bundeswehr, die über ein Prozent des BIP hinausgehen, nicht mehr auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Wir sorgen damit für eine stabile Finanzierung unserer Streitkräfte, unseres Zivil- und Bevölkerungsschutzes und unserer Nachrichtendienste – und das eben, ohne andere dringend notwendige Investitionen zu gefährden. Das ist neu, und das ist historisch. So können wir unsere gesamtstaatliche Verteidigungsfähigkeit stärken und Deutschland in jeder Hinsicht widerstandsfähiger machen. Dabei ist klar – um das deutlich zu sagen –: Mehr Mittel sind keine Blankoschecks. Sie werden effizient und wohlüberlegt eingesetzt werden, und sie obliegen weiterhin der parlamentarischen Kontrolle.
Drittens. Wir werden die Beschaffung für die Bundeswehr weiter massiv beschleunigen und effizienter machen. Ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz wird dafür sorgen, nicht mehr Jahre oder Jahrzehnte ins Land gehen lassen zu müssen, um dringend benötigtes Material günstig und effizient zu beschaffen.
Die Zeiten, in denen wir uns in der Hoffnung wiegen konnten, andere würden schon für unsere Sicherheit sorgen, sind vorbei. Unsere Bündnispartner erwarten zu Recht, dass Deutschland aus seinem sicherheitspolitischen Schatten tritt; und das geht nur mit einer starken Bundeswehr. Wir müssen dafür die Truppe in allen Bereichen besser aufstellen: bei der Luftverteidigung, bei der Artillerie, bei der Logistik, in der Weltraumüberwachung sowie im Cyber- und Informationsraum. Wir brauchen mehr Drohnen, Marschflugkörper und mehr seegestützte Fähigkeiten. Wir brauchen mehr Personal, aktive Soldatinnen und Soldaten ebenso wie Reservisten. Und all das kostet viel Geld.
Gerade als ehemaliger Landespolitiker sehe ich die Bedeutung für die Länder und Kommunen. Wer tagtäglich mit den Menschen vor Ort spricht, der weiß, die Bürgerinnen und Bürger erwarten Lösungen, keine endlosen Debatten ohne richtige Ergebnisse. Sie erwarten konkretes Handeln für die Sicherheit und für die Zukunft ihrer Kinder und Enkel, ihrer Familie und ihrer Freunde. Mit diesem Beschluss können die Länder endlich in den Bevölkerungsschutz investieren, in Krankenhäuser, in Bildung. Und wir werden dafür sorgen, dass die Mittel schnell und unbürokratisch dort ankommen, wo sie gebraucht werden.
Verehrte Abgeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sprach anfangs von der historischen Bedeutung der heute anstehenden Entscheidung. Sie alle haben heute die historische Chance, mit Ihrer Zustimmung zu unserem Vorschlag die Sicherheit und den Wohlstand unseres Landes für die kommenden Jahrzehnte zu sichern. In den letzten Wochen und Monaten mussten wir uns zu oft auf der internationalen Bühne überraschen lassen. Zwar haben wir jeweils entschieden reagiert, aber ganz ehrlich, meine Damen und Herren, ich möchte, dass wir agieren, ich möchte, dass wir vor die Lage kommen. Wir müssen dafür sorgen, dass uns die Ereignisse nicht irgendwann einholen oder sogar überholen.
Lassen Sie uns handeln und die Zukunft Deutschlands und Europas gestalten! Ich baue auf die Stimme jedes einzelnen Mitglieds dieses Hauses. Packen wir es an!
Vielen Dank.
Quelle – Bundesregierung