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Berlin, 11. April 2024

“Es gilt das gesprochene Wort!”

Meine Damen und Herren!

Vielen Dank für die Einladung. Es ist mir eine große Freude, wieder in Berlin zu sein. Ich war schon oft in Berlin, und erinnere mich sehr gerne an die Zeit, als ich selbst hier gelebt habe. Es ist mehr als zwanzig Jahre her, als ich in Prenzlauer Berg gewohnt habe. Regelmäßig fuhr ich nach Charlottenburg, um Sport zu machen. Auf das Thema Sport werde ich gleich noch zurückkommen. Während dieser Jahre, erlebte eine ich eine unglaubliche Gastfreundschaft und Freundlichkeit. Ich hatte das Privileg, viel über dieses Land und seine Menschen zu lernen.

Neben den persönlichen Erfahrungen meiner jungen Jahre hatte ich auch eine sehr produktive Zusammenarbeit mit Ministerinnen und Ministern, Parlamentariern und vielen anderen hier in Deutschland, als ich Mitglied der Regierung der Niederlande war. Und ich freue mich, dass diese Zusammenarbeit auch in meiner jetzigen Funktion als EU-Kommissar für Klimapolitik fortbestehen.

Heute bin ich hier, um über die Herausforderung zu sprechen, unsere Klima-, Energie- und Wirtschaftspolitik miteinander zu verbinden. Es ist wichtig, dass wir eine Bestandsaufnahme machen, wo wir stehen, und wohin wir gehen.

Ich habe versprochen, dass ich auf das Thema Sport zurückkommen werde. Nun, das liegt daran, dass ich diese Rede ein wenig wie die Aussprache mit der Mannschaft während der Halbzeitpause nutzen möchte. Ich hoffe, es sind hier genug Fußballfans im Saal! Mit Blick auf die Fußballeuropameisterschaft werden Sie mir das nachsehen.

Warum ein Teamgespräch in der Halbzeit? Weil wir uns mit dem grünen Übergang gerade dort befinden. Und weil einige von uns eine Gedächtnisstütze brauchen, was wir in der ersten Halbzeit erreicht haben und wie wir in der zweiten Halbzeit den Sieg sicherstellen können.

Was haben wir also bisher erreicht?

Mit dem Green Deal haben wir Energie, Klima und Wirtschaft zusammengeführt. Wir haben dafür gesorgt, dass unser Klimaplan auch unser Wachstumsplan ist. Ich muss einem deutschen Publikum nicht sagen, dass eine starke Mannschaft mit einer guten Abwehr beginnt. Wir sind dabei, die Instrumente zu schaffen, die wir brauchen, um uns gegen die unvermeidlichen Auswirkungen des Klimawandels zu schützen.

Vor einigen Wochen hat die Europäische Umweltagentur einen Bericht veröffentlicht, der erstmals auf EU-Ebene einen Überblick über das Ausmaß und die Dringlichkeit von Klimarisiken gibt. Wenn wir an Klimarisiken denken, denken wir in der Regel zuerst an Risiken für unsere Gesundheit, Infrastruktur und Ernährungssicherheit. Aber auch Wirtschaft und Finanzen sind stark betroffen.

Es ist klar, dass Klima- und Umweltrisiken angegangen werden müssen, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft zu sichern. Denken Sie an Unternehmen, die sich nach Klimaschäden nur schwer erholen können. Oder die Wasserknappheit, die ihre Produktion beeinträchtigt. Die Flut 2021 in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen verursachte allein in Deutschland Schäden in Höhe von 33 Milliarden Euro. Es war die teuerste Naturkatastrophe seit langem in Europa. Man stelle sich vor, welche Investitionen mit dieser Summe hätten getätigt werden können.

Zweitens:  jeder Euro, der für das Klimarisikomanagement ausgegeben wird, spart zwischen 5 und 9 Euro in der Zukunft. Unsere Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel ist für die europäische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Mit unserer Klimaanpassungspolitik bauen wir also eine starke Verteidigung auf. Aber der grüne Wandel bietet auch große Offensivchancen für unsere Unternehmen, Verbraucher, Investoren, Innovatoren und unsere gesamte Wirtschaft.

Wie sieht unsere Strategie für den Angriff aus?

Sie besteht aus einer Mischung, Emissionen zu senken – und damit die Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen – und gleichzeitig, Erfolge für die europäische Industrie und die Bürger zu ermöglichen. Das europäische Klimagesetz war die erste Schlüsselinitiative im Rahmen des europäischen Green Deal. Es war unser erster Schritt.

Das europäische Klimagesetz schafft die rechtlich verbindliche Grundlage für einen grünen Übergang, der gekoppelt ist an eine starke und stabile Wirtschaft, eine wettbewerbsfähige Industrie, die zukunftssichere Arbeitsplätze in Europa schaffen.

Im Anschluss daran haben wir unser Fit-for-55-Paket beschlossen, um die Emissionen innerhalb der EU bis 2030 um mindestens 55 % zu senken. Für unsere Wirtschaft ist es wichtig, dass die Unternehmen wissen, wohin die Reise geht. Genau das bietet diese Gesetzgebung.

Wir befinden uns jetzt mitten in der Umsetzung, und das erfordert Maßnahmen von allen Beteiligten. Beispielsweise arbeiten die Mitgliedstaaten derzeit an ihren nationalen Energie- und Klimaplänen. Der grüne Übergang ist nun Teil der nationalen Planung und Haushalte. Auf EU-Ebene haben wir aber nicht bloß langfristige Ziele gesteckt.

Die EU hat ein umfassendes Paket politischer Initiativen vorgelegt, die die Dekarbonisierung unterstützen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit im Fokus haben. So hat die Kommission im Februar 2023 den Green-Deal-Industrieplan angenommen. Er  umfasst das Gesetz über kritische Rohstoffe und das Gesetz über die Netto-Null-Industrie. Damit werden wir die Produktionskapazitäten für Netto-Null-Technologien und -Produkte, die unsere Wirtschaft braucht, ausbauen.

Diese Art von regulatorischer Stabilität und Vorhersehbarkeit unterscheidet die EU von vielen anderen Ländern und Regionen der Welt, in denen die Bedingungen nicht so gut sind. Parallel dazu arbeiten wir auch daran, dass wirklich niemand beim Übergang zurückgelassen wird und dass die Schwachen unterstützt werden.

Der Just Transition Fund und der Klimasozialfonds sind gute Beispiele dafür. Mit dem Innovationsfonds verfügen wir über ein leistungsfähiges Instrument, mit dem wir europaweit bis 2030 innovative Projekte mit rund 40 Milliarden Euro finanzieren werden. Der Innovationsfonds speist sich aus den Einnahmen des EU-Emissionshandelssystems.

Im vergangenen Jahr wurden die Emissionen in den ETS-Sektoren so stark gesenkt wie noch nie seit seiner Einführung im Jahr 2005. Warum ist das so? Weil der Stromsektor dank der erneuerbaren Energien bei der Dekarbonisierung erhebliche Fortschritte gemacht hat.

Andere EU-Finanzierungsprogramme wie die Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) und InvestEU tragen ebenfalls dazu bei, das Risiko von Investitionen zu verringern und klimafreundliche Technologieprojekte finanziell zu unterstützen.

Mit all diesen Instrumenten, ihrer vollständigen Umsetzung und der richtigen Unterstützung für Unternehmen und Bürger können wir unsere Ziele für 2030 erreichen. Man könnte sagen, wir können das Spiel um den grünen Übergang gewinnen.

Wir wissen, wie wir es schaffen können. Wir haben uns darauf geeinigt, wie wir es tun wollen. Seit 1990 haben wir die Emissionen um über 32 % gesenkt, und das während unser BIP um über 60 % gestiegen ist. Wir haben die erneuerbaren Energien angekurbelt. In Europa werden immer sauberere Autos verkauft. Wir investieren in alternative Kraftstoffe. Wir bauen unsere Kohlenstoffsenken aus.

Wir haben also eine respektable erste Halbzeit hinter uns.

Der Wettbewerb da draußen ist hart. Sie fragen sich, ob wir so weitermachen können. Was machen wir in der zweiten Halbzeit? Wie können wir sicherstellen, dass wir gewinnen? Wie alle guten Taktiker müssen wir die Strategie umsetzen. Europa hat bereits alles, was es braucht, um in der zweiten Halbzeit auf den Platz zu gehen und zu gewinnen.

Jetzt hoffen einige wahrscheinlich, dass ich hier mit den Fußballmetaphern aufhöre, aber lassen Sie mich noch eines sagen: was den Unterschied zwischen einer guten und einer großartigen Mannschaft ausmacht. Eine großartige Mannschaft weiß aus meiner Sicht, wohin sie will und wie sie dorthin kommt.

Um Vorhersehbarkeit zu gewährleisten, hat die Kommission vor kurzem empfohlen, die Emissionen in der EU bis 2040 um 90 % zu reduzieren. Dies beruht auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Ich möchte betonen, dass die Kommissionsmitteilung zum 2040-Ziel kein Gesetzesvorschlag ist, sondern der Beginn einer Debatte über die Zukunft der Klimapolitik.

Wir wollen mit Bürgern, Unternehmen und anderen Interessengruppen in Kontakt treten, um ihre Ansichten zu hören und in einen möglichen künftigen Vorschlag einfließen zu lassen. Dieser wäre dann Sache der nächsten Kommission.

Heute Morgen haben Sie auf dieser Tagung die Perspektiven Deutschlands für 2040 aus der Sicht der Industrie diskutiert, wie ich verstanden habe. Ihr Land hat eine beeindruckende Tradition der industriellen Leadership.

Die Empfehlung für das Klimaziel 2040 setzt ein wichtiges Signal an die Finanzmärkte und an die Industrie, wie man langfristig investieren und effektiv planen kann.

Und ich denke, dass die europäischen Wirtschaftsakteure diese Unterstützung zu schätzen wissen und auch die Vorteile des grünen Übergangs erkennen.

Kürzlich haben sich über 100 führende Vertreter von Unternehmen und Investoren aus ganz Europa, die mehr als eine Million Beschäftigte und Billionen von Vermögenswerten vertreten, zusammengeschlossen. Sie unterstützen den Vorschlag der 90 %.

Unternehmen wie SAP, Unilever, Vattenfall, Otto Group, IKEA, Google und H&M, betonen, dass dieses wissenschaftlich fundierte Ziel die Dringlichkeit und die Vorteile widerspiegelt, Maßnahmen zu ergreifen. Diese Unternehmen und Investoren sehen die wirtschaftlichen Chancen und Wettbewerbsvorteile, auch in Bezug auf die Energiesicherheit von Bürgern und Unternehmen.

Gehen wir einen Schritt weiter und betrachten die Welt als Ganzes. Die EU ist für 7 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Emissionen der EU sind also nur ein Teil des Puzzles. Andere müssen mitziehen. Darum scheuen wir keine diplomatischen Mühen, um unsere internationalen Partner davon zu überzeugen und ihnen Anreize zu bieten, mehr für die Emissionsreduzierung zu tun. Und das zahlt sich aus.

Die Ergebnisse der COP28 im vergangenen Jahr machen deutlich, dass alle Parteien bereit sind und sein müssen, ihre Maßnahmen zu verstärken. Aber als weltweit führende Klimaschützer können wir andere Länder natürlich nur dann dazu bringen, mehr zu tun, wenn wir selbst unseren eigenen Verpflichtungen auch nachkommen.

Wir müssen mit gutem Vorbild vorangehen.

Und darum, werden wir weiter daran arbeiten, eine Auslagerung von CO2-intensiven Prozessen ins Ausland zu verhindern. Neben dem CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) werden wir die Kohlenstoffmarktdiplomatie beschleunigen. Eine neue Task Force wird Fachwissen und Mitarbeiter der EU mobilisieren, um andere Länder dabei zu unterstützen, selbst Kohlenstoffmärkte und -preise zu entwickeln. Dies wird aus meiner Sicht dazu beitragen, CO2-Bepreisung, wie im EU-Emissionshandelssystem, weltweit zu etablieren.

Meine Damen und Herren,

Wir haben eine gute, respektable erste Halbzeit gespielt. Wir haben alles, was wir brauchen, um dieses Spiel zu gewinnen. Lassen Sie mich mit einem letzten Hinweis auf den Fußball schließen. Es gibt einen amüsanten Satz von dem großen englischen Stürmer Gary Lineker, den viele von Ihnen kennen werden. Er sagte einmal: “Fußball ist ein einfaches Spiel. Zweiundzwanzig Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball hinterher, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.”

Ich werde nicht behaupten, dass der grüne Übergang ein einfaches Spiel ist, und es gibt viel mehr als 22 Spieler. Aber ich glaube fest daran, dass nicht nur Deutschland und Europa, und am Ende des Tages auch die Ganze Welt, gewinnen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Source – EU Commission

 

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