Sven Giegold, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, auf der 94. Europaministerkonferenz (EMK) – Rede „Zukunft der Kohäsionspolitik”
Chère Madame BOUDINEAU,
sehr geehrter Herr SCHWARZ,
meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Länder,
vielen Dank für diese Möglichkeit, in Ihrem Kreis über die Zukunft der Kohäsionspolitik zu sprechen.
Die Europäische Kohäsionspolitik sorgt für Investitionen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und steht für Zusammenhalt und Solidarität. Sie ist untrennbar verbunden mit dem Binnenmarkt und leitet Regionen zu strategischen Investitionen an, damit Bürgerinnen und Bürger überall in Europa am wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben.
Die Kohäsionspolitik macht aktuell gut ein Drittel des Mehrjährigen Finanzrahmens aus. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung für die Vertiefung des Binnenmarktes.
Ich freue mich, Isabelle Boudineau als Vertreterin der französischen Regionen bei Ihnen zu sehen. Denn nur gemeinsam mit unseren Partnern können wir den Prozess in Brüssel wirkungsvoll mitgestalten. Und dabei spielt unser couple franco-allemand eine besondere Rolle!
Hoher Veränderungsdruck, Reformbedarf Kohäsionspolitik
Um es klar zu sagen: Die Kohäsionspolitik steht unter enormem Druck. Das betrifft nicht nur die als schleppend wahrgenommene Mittelabsorption, sondern auch die Mittelkonkurrenz und lauter werdenden Anfragen an die Wirksamkeit der Mittel.
Für den kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen muss die Europäische Kommission nicht nur aktuelle geostrategische und geoökonomische Herausforderungen, sondern auch die Erweiterung im Blick haben. Berechtigterweise steht dabei der effiziente Einsatz der europäischen Haushaltsmittel im Vordergrund.
Kritiker werfen die Frage auf, ob die Investitionen der Strukturfonds gleichermaßen effizient sind wie die Investitionspolitik der Politikbereiche in direkter Mittelverwaltung.
Zum Stand der Kohäsion in Europa hat die Kommission in ihrem letzten Bericht ein gemischtes Bild gezeichnet. Der Zusammenhalt hat sich auch durch die Kohäsionspolitik verbessert. Es bleiben aber erhebliche Unterschiede. Insbesondere gibt es zahlreiche Regionen, die trotz langjähriger massiver Unterstützung in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung stagnieren.
Die unabhängige High Level Group zur Zukunft der Kohäsionspolitik hat ebenfalls grundlegenden Reformbedarf attestiert und empfiehlt, Investitionsschwerpunkte auf Regionen mit besonderem strukturellem Handlungsbedarf zu konzentrieren.
Dazu kommt die gerade von privaten und öffentlichen Investoren als überbordend empfundene Bürokratie im Zusammenhang mit den Kohäsionsprogrammen.
Einen anderen Ansatz verfolgt die Aufbau- und Resilienzfazilität, die Reformen auf nationaler Ebene abgeleitet aus dem Europäischen Semester und die Ergebnisorientierung in den Mittelpunkt stellt.
Die aktuelle Halbzeitevaluation der ARF zeigt zwar einiges Verbesserungspotential, der Mechanismus „Geld für Reformen“ kann jedoch ein wirksamer Hebel für eine effektivere Investitionspolitik sein.
Ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir die Kohäsionspolitik als zentrale Europäische Politik erhalten wollen, müssen wir für eine grundlegende Reform bereit sein. Ein „weiter so“ kann und wird es nicht geben!
Bei der Neuausrichtung geht es aus Sicht des BMWK im Kern um:
- bessere Wirkung,
- Fokus auf Transformation in allen Regionen und
- effektive Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Dabei brauchen wir eine gute Balance zwischen wirksamer europäischer Steuerung, regionalem Handlungsbedarf und regionaler Selbstbestimmung. Darauf möchte ich umfassender eingehen.
Strategische Ausrichtung auf Transformation
Die Union steht vor der Herausforderung einer fairen und inklusiven Transformation hin zu einer grünen, digitalen und resilienten Wirtschaft.
Dies erfordert Anpassungsprozesse in allen Regionen. Die Bedarfe in den Regionen sind aber verschieden und die Regionen unterschiedlich gut für die Transformation aufgestellt.
Aus diesem Grund will das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die Kohäsionspolitik voll und ganz auf Transformation in allen Regionen Europas ausrichten.
Wir verstehen die Transformationsaufgabe weit: neben dem grünen und digitalen Übergang geht es auch darum, auf demographische Entwicklungen angemessen zu reagieren und insbesondere die ländlichen Regionen im Blick zu behalten.
Neben klarer Prioritätensetzung durch die Union braucht es dafür eine verbindlichere Strategieorientierung auf regionaler und sub-regionaler Ebene.
Die seit der letzten Förderperiode etablierten RIS3-Strategien dienen dazu, die Mittel aus dem EFRE gezielt für innovative Förderprojekte einzusetzen, damit sich die Regionen im Wettbewerb besser positionieren können.
Dafür haben die Regionen zusammen mit Stakeholdern ihre innovationsökonomischen Stärken und Prioritäten festgelegt.
Wir prüfen, wie diese Strategien weiter genutzt werden können, um den regionalen Transformationsbedarf noch zielgerichteter durch Investitionen zu decken.
Dabei spielen Synergien mit den Instrumenten der nationalen Regionalpolitik und die interregionale Zusammenarbeit eine große Rolle.
Im BMWK und der Bundesregierung kommt „Struktur- und Regionalpolitik“ nicht an zweiter Stelle, sondern spielt eine zentrale Rolle. Unser Ziel ist es, die Synergien zwischen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, die wir gemeinsam erfolgreich reformiert haben, und den Europäischen Strukturfonds weiter zu stärken.
Die zuständigen Referate sind in der Abteilung Wirtschaftspolitik zusammengeführt worden und haben den Austausch mit den Ländern aufgenommen.
Mir ist es besonders wichtig, die Menschen vor Ort mitzunehmen. Dafür sollten wir territoriale Instrumente verbindlich nutzen, die auf einer Entwicklungsstrategie mit Beteiligung der Öffentlichkeit beruhen.
Die Regionen vorausschauend in ihren spezifischen Transformationsprozessen zu unterstützen, bietet die Chance, regionale Disparitäten weiter abzubauen und die politischen Rahmenbedingungen für eine weitere Vertiefung des Binnenmarkts zu befördern. Daran haben wir in Deutschland ein strategisches Interesse.
Diese Zielorientierung muss Hand in Hand gehen mit verlässlicheren Evaluationsdesigns zur Bewertung der Fördermaßnahmen, damit wir Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenwirken können.
Damit wollen wir verhindern, dass Regionen im Transformationsprozess abgehängt werden.
Strukturreformen stärken, ortsbezogenen Ansatz wahren
Für wirksame Investitionen brauchen wir vor allem ein faires Investitionsumfeld.
Damit meine ich eine starke Rechtsstaatskonditionalität. Aber auch einen wirkungsvollen Hebel, um wachstums- und zukunftsorientierte Reformen anzureizen.
Aktuell gibt es zur Zukunft des Mehrjährigen Finanzrahmens sogar Stimmen,die den Akzent bei der Vergabe europäischer Fördermittel hin zu nationalen Reformplänen verschieben wollen.
Auch darauf müssen wir Antworten geben. Dies umso mehr, da die ARF in einigen Mitgliedstaaten einen kräftigen Schub zur Umsetzung von Strukturreformen gegeben hat, wie in Spanien mit der Arbeitsmarktreform und in Italien mit der lang erwarteten Justizreform. Gleichzeitig hat sich die EU-Kommission bei ihrer Konditionalitätsprüfung nicht immer mit Ruhm bekleckert, wie die Toleranz für den völlig ineffizienten Super Bonus in Italien zeigt.
Wenn es darum geht, mögliche Mittelwege auszuloten, sind mir drei Punkte besonders wichtig:
- Mitgliedstaaten und Kommission müssen sich auf Augenhöhe und in einem gemeinsamen Diagnoseprozess auf erforderliche Strukturreformen verständigen.
- Wir wollen die Stärken der Kohäsionspolitik erhalten. Das sind geteilte Mittelverwaltung, Mehrebenensystem, Partnerschaft und ortsbezogener Ansatz.
- Reformpläne oder -programme müssen den Mitgliedstaaten ausreichend Raum lassen, den Investitionsbedarf auf den unterschiedlichen staatlichen Ebenen zu adressieren.
Kohäsionspolitik als Politik für die Büger:innen: Einfach, handhabbar und verlässlich
Für die kommende Förderperiode wollen wir die Perspektive der Begünstigten in den Mittelpunkt stellen, um sie im gesamten Förderprozess zu entlasten. Dies ist auch Grundlage für eine bessere Mittelabsorption.
Das BMWK führt derzeit eine öffentliche Konsultation durch, auch um konkrete Vereinfachungsvorschläge potentieller Begünstigter zu erhalten.
Die Zahl der bereits eingegangenen Rückmeldungen, etwa 400, [Anm.: Zwischenstand, insgesamt sind bis zum Ende der Konsultation 744 Fragebögen eingegangen] zeigt, dass viele Menschen die Frage bewegt, wie die zukünftige Kohäsionspolitik aussehen sollte.
Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse und sage gerne zu, dass wir die Kolleginnen und Kollegen der Länder zeitnah informieren, bevor wir in die weitere Bund-Länder-Abstimmung einsteigen.
Zugleich beziehen wir die Praktikerinnen und Praktiker der Länder über die Bund-Länder-AG Vereinfachung mit ein, um zu prüfen, wie die Vereinfachungsmaßnahmen der aktuellen Förderperiode tatsächlich wirken und wo sie vertieft werden sollten.
Ziel sind Eckpunkte für eine adressatengerechte Ausgestaltung von Nachweis- und Dokumentationspflichten, die Umfang und Art der Träger und Projekte angemessen berücksichtigen.
Gleichzeitig muss die europäische Strukturförderung in ganz Europa Standards setzen und damit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Integrität der nationalen Umsetzungsbehörden stärken.
Wir brauchen Vertrauen darin, dass europäische Gelder zum Wohle aller investiert werden. Aber: Ansprüche an Mittelvergabe und Kontrollsysteme müssen auch transparent und nachvollziehbar sein.
Vorbildliche Arbeit in puncto Betrugs- und Korruptionsbekämpfung sollte stärker berücksichtigt werden, auch durch angepasste Prüf- und Nachweispflichten. Kriterien dafür können sein:
- Nutzung moderner digitaler Betrugsbekämpfungstools,
- Effektive nationale Betrugsbekämpfungsstrategie,
- Verstärkte Zusammenarbeit mit OLAF und EuStA.
Ausbau grenzüberschreitender Zusammenarbeit
Die Kohäsionspolitik unterstützt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bislang mit einem Fokus auf der ETZ, die gemeinsame Lösungen zwischen Regionen der Mitgliedstaaten in den Blick nimmt.
Diesen Ansatz gilt es auszubauen und effektiver zu nutzen. Gute Beispiele liefert auch der EFRE mit Projekten im Rahmen der Investitionen in die interregionale Innovation (I3) in Bereichen wie:
- Wertschöpfungsketten für grünen Wasserstoff,
- Digitale Lösungen für KMU,
- Kreislaufwirtschaft.
Transformationsherausforderungen enden weder an staatlichen Grenzen, noch beschränken sie sich auf benachbarte Regionen. Aktuell liegen noch zu viele Kooperationspotentiale brach, gerade dann, wenn es gilt, stärkere mit schwächeren Regionen zu verbinden, z.B. beim Aufbau interregionaler Wertschöpfungsketten.
Für einen erfolgreichen Übergang und die weitere Konvergenz in Europa müssen auch transnationale Infrastrukturen gestärkt werden.
Daher müssen alle Strukturfonds Anreize bieten interregionale Projekte zu fördern. Das bedeutet auch, dass ausreichend Mittel für diesen Zweck bereitgestellt werden.
Prozess Bund-Länder-Stellungnahme; Einladung zu konstruktivem Austausch
Mein Eindruck ist, dass die Interessen der Länder sehr vielfältig und nicht immer gleichlaufend sind. In einer solchen Situation kann der Bund es erst recht nicht allen Ländern recht machen.
Mit Blick auf die anstehenden Diskussionen in Brüssel möchte ich bei Ihnen für Kompromissbereitschaft zur Festlegung unserer gemeinsamen Kernanliegen werben.
Dass wir Ihre Positionen ernst nehmen, kann ich für den Bund versichern. Aber angesichts des politischen Drucks auf der Kohäsionspolitik in Brüssel und zwischen den Mitgliedsstaaten, müssen wir alle – auch die Länder zu Zugeständnissen bereit sein, um unsere Kernanliegen durchzusetzen.
Aus meiner Zeit als Europaabgeordneter kenne ich die Entscheidungsprozesse in Brüssel gut. Daher kann ich Ihnen versichern, dass Bund und Länder weniger Erfolg haben werden, wenn wir unterschiedliche Positionen scheinbar losgelöst voneinander einbringen.
Unsere gemeinsame Aufgabe besteht darin, als Nettozahler berechtigte Kritik auf europäischer Ebene aufzugreifen und einen besonderen Fokus auf den effizienten Einsatz der Mittel zu legen. So stärken wir Investitionen und unsere Wettbewerbsfähigkeit. Dies gelingt nur durch thematische Steuerung und gutes Monitoring.
Der Beschluss des Bundesrates zur Halbzeitrevision des MFR mit einer ersten Länderpositionierung zur Zukunft der Kohäsionspolitik zeigt viele Punkte, bei denen Konsens besteht. Auf deren Basis können wir bis Ende 2024 eine aussagekräftige Bund-Länder-Stellungnahme entwickeln. Für mich haben die Länder eine wichtige Rolle, für ihre Anliegen steht meine Bürotür jederzeit offen.
Daher bin ich zuversichtlich, dass wir uns gemeinsam mit einer starken Stimme erfolgreich in Brüssel für eine moderne Kohäsionspolitik nach 2027 einsetzen werden!
Nach Abschluss der Verhandlungen der Dossiers zum Green Deal habe ich Kapazitäten mich nun vollumfänglich den Verhandlungen zur Zukunft der KP zu widmen. Ich sage Ihnen zu, für deutsche Interessen engagiert einzutreten!
Zunächst bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf den Austausch.
Quelle – BMWK